Sonntag, 18. Mai 2014

Psychodemokratie

Grundfeste der Demokratie ist die Autonomie des Einzelnen und seine Fähigkeit Entscheidungen zu treffen. Der Einzelne, wie auch immer begrenzt oder beschränkt im konformen Rahmen, trägt das System, ist der Souverän, der einzige, der dem System durch seine Stimme Legitimation gibt. Eine Altersgrenze ab der die völlige Autonomie und Fähigkeit dazu zugestanden wird, ist in Anbetracht der menschlichen Entwicklung vom pflegebedürftigen Baby zum autonomen Träger sittlicher Entscheidungen nötig und sinnvoll. Sie verschiebt sich im Rahmen der gesellschaftlichen Entwicklung, die auch Kindern mehr eigene Rechte zugesteht und ist relativ zur sozialen Entwicklung einer Gesellschaft. Je primitiver desto beschränkter der Kreis derer, denen Teilhabe zugestanden wird, desto weiter entwickelt in immer breiteren Schichten und unabhängig vom zufälligen Ort der Geburt. Historisch zeigt sich diese Entwicklung vom Feudalsystem zur Demokratie, von der in familiären Zusammenhängen stehenden Stammesgesellschaft hin zur differenzierten Gesellschaft heutiger Zeit in der verschiedene Lebensmodelle je nach Neigung parallel existieren können, was in feudalen Gesellschaften so schwer war wie in den von Clans geprägten, wie wir just in Afghanistan beobachten konnten.

Hinter einen einmal erreichten Entwicklungsgrad der Differenzierung gibt es kein Zurück mehr, auch wenn Teile der Gesellschaft, die träger oder langsamer sind, immer wieder versuchen die Differenzierung zu bremsen oder ihr primitveres Modell herrschen zu lassen, weil sie die Differenzierung überfordert zurück zum Nationalstaat des 19. Jahrhunderts in seinen engen moralischen Grenzen wollen, wofür sie dann zeitweise Anhänger unter den schlichteren und langsameren Gemütern finden, die mit der fortschreitenden Differenzierung nicht klar kommen. In Deutschland zeigt sich dies deutlich bei der NPD wie beim AfD, sowie teilweise auch in den Bierzelt Parolen der CSU. Diese Vereinigungen schlichterer Gemüter, stellt sich einer Entwicklung entgegen, die notwendige Folge der ökonomischen und geistigen Entwicklung ist. In den USA ist dies deutlich etwa im sogenannten Bible belt, bei konservativen Republikanern oder im Ku Klux Klan, nur teilweise bei der TeaParty Bewegung, da diese neben reaktionären Ansichten auch die Freiheit groß schreiben, in Frankreich ist es der Front National, in Italien die Neofaschisten, in der Ukraine die Faschisten, in Russland ist dies etwas schwerer klar zuzuordnen, insofern sich Sowjetpatrioten neben Ultranationalisten befinden, ehemalige Kommunisten sich mit der orthodoxen Kirche verbünden, die auf den Westen und seine “kranke Andersartigkeit” schimpfen und dabei die Internationale singen, also Differenzierung sich neben Vereinfachung und Simplifizierung findet. Die Abhängigkeit vom Öl hat eine primitiv reaktionäre Form des Islam gestärkt, die sehr undifferenziert in vormittelalterlichen Rollenmustern denkt und straft, eine differenzierte Entwicklung und eine Abwendung vom Aberglauben verhindert. Insgesamt aber zeigt sich weltweit, um so toleranter und differenzierter eine Gesellschaft ist, um so erfolgreicher ist sie langfristig. Kurzes Aufflammen der Reaktionäre vor ihrem Untergang oder dem logischen Umfallen belegen dies nur.

Was erfolgreich ist, setzt sich durch. Seltsam nur, dass dennoch auch und gerade solch primitive Formen der Ordnung wie sie doch eher unterentwickelten Kulturen entsprechen, immer noch Anhänger finden. Vor allem in Krisenzeiten strömen den Vereinfachern die Massen zu, in je nach Stabilität des Systems großem Maße.

Der Rechtsstaat ist das Fundament der Demokratie, nur in einer verfassten und rechtlich überprüfbaren Ordnung, können auch Menschenrechte durchgesetzt und eingeklagt werden. Alternative wäre nur die Herrschaft des Stärkeren, was inoweit sogar mit dem Mehrheitsprinzip der Demokratie vereinbar wäre, aber nicht mit der Freiheit des einzelnen und den Menschenrechten. Wir können und dürfen uns als Einzelne gegen andere nur rechtlich wehren mit der Ausnahme der Notwehr, mit der wir in dem Moment einen drohenden Angriff irgendwie noch angemessen abwehren dürfen.

Zwischen Staaten gilt dieses Recht der einzelnen analog - wer sich also nicht gegenwärtig und rechtswidrig, wie die Juristen es nennen, wenn sie meinen in dem Moment und eben verboten, angegriffen fühlen darf, hat sich an Gerichte zu wenden und also abzuwarten, damit nach dem vorab festgelegten Recht entschieden wird, so darf kein Staat einfach beim anderen einmarschieren und Tatsachen schaffen, sondern muss dazu die zuständigen Gremien konsultieren, was relativ absolut gilt, es sei denn diejenigen sind eine Supermacht, wie die Vereinigten Staaten, oder Teil einer einmal Supermacht mit Geltungsproblemen, wie Russland, dann wird unter mehr oder weniger Protest oder Anteilnahme einfach gemacht. Dabei gilt dann eben das Recht des Stärkeren und es ist irrelevant welche Rechtsgrundlage das Handeln legitimierte oder verbat, allerdings muss sich nach dem Ausbruch des Kampfes, in dem sich der eben Stärkere durchsetzt, doch wieder zusammengesetzt werden, um eine gemeinsame Lösung zu finden, weshalb es unbedingt zu empfehlen ist auch in Krisenzeiten einen formell guten Ton des Umgangs miteinander zu finden, der nach den organisierten Prügeleien genannt Krieg die Wiederaufnahme der Gespräche erleichtert. Das ganze nennt sich dann Diplomatie - an dieser Stelle mag dahinstehen, wer sich in aktuellen Krisen diplomatisch verhielt und wer, nur an einer Eskalation interessiert, alles tat die Konfrontation eskalieren zu lassen, auch wenn es viel über den Geist des Rechtsstaates, der Macht und Ohnmacht der Beteiligten verriete, die alle Ideale im Krisenfall für dann notwendige Bündniskonformität verkaufen. Es geht ja nur um die Folgen der Psychologie und ihrer fast spirituellen Theorien für den Rechtsstaat.

Immer mehr Entscheidungen des Rechtsstaates im zivilen Bereich aber stärker noch im strafrechtlichten Fall der möglichen Sanktion, werden heute mithilfe von Gutachten entschieden, die den Richtern zwar das letzte Wort lassen, aber die Kompetenz sich ein Urteil über den Tätern zu bilden, an Ärzte überträgt. Danach ist ein gerichtliches Urteil nicht länger nur am Recht und seiner Auslegung orientiert, sondern hängt an der Interpretation von Ärzten über die Gründe des Verhaltens der Beteiligten.

Was sich kompliziert anhört ist in der Praxis ganz einfach, ob und wie gestraft wird, wer in Betreuung kommt und somit zwar nicht mehr rechtlich aber faktisch entmündigt wird bis hin zur Folge der sogar zwangsweise medikativen Therapie und ihrer persönlichkeitsverändernden Wirkung, entscheiden allein Psychater oft nach den Grundsätzen der Psychologie, die das Verhalten des Einzelnen zu oft nach Schemen beurteilt.

Die Demokratie kommt an ihre Grenzen, wo die Psychologie die Entscheidungen interpretiert und ersetzt, weil nicht mehr das Wort oder die Tat gelten, sondern ihre Interpretation durch einen Zirkel von Eingeweihten, die den Schlüssel dazu haben, die Beteiligten als gesund oder krank zu definieren.

Was normal ist oder eben nicht, was wir ertragen und wie weit wir von der Norm abweichen dürfen, bis wir von Gutachtern für nicht mehr verantwortlich oder verantwortbar definiert werden, schwankt je nach Beteiligten, der Zufall des richtigen Gutachters, führt in Therapie oder Haft und so wirken auch die regionale Interpretation solch sektenartiger Lehren wie der Psychoanalyse sich auf die Anwendung des Rechts und seine Durchsetzung aus.

Wie sich dies mit dem Grundsatz des nulla poena sine lege scripta, also keine Strafe ohne vorher geschriebenes Recht, der noch lesbar aus römischer Zeit stammt, vereinbaren lässt, scheint zumindest fraglich, da alle Lehren zur Psyche fraglich sind und weniger Ansicht der Natur wie der Tat an sich sind, als eine nur Interpretation eines Glaubenssatzes, der die Existenz einer Seele lehrt als selbständiges Gebilde und dem Menschen ein eine solche andichtet, wie es schon die Religionen taten, um den Menschen, abhängig zu halten - damaliger Maßstab war der Wille des erdachten Gottes, an dessen phantastischen Wünschen sich alles orientierte, heute ist es die erfundene seelische Gesundheit, die mittlere Norm, an die angepasst wird und sei es auch nur mit dem besten Willen zu helfen, dabei sind Menschen nie normal von Natur aus und Anpassung ist nur ein Teil des evolutuionären Prozesses, in dem nur das weiterdenken und sich entwickeln wollen derer, die gerade die Bahnen der Konventionen verließen, erst neues zu denken wagten und ausprobierte und sie wurden früher von der Kirche auf die Scheiterhaufen der Inquisition gebracht und werden heute von den Psychiatern und Psychologen als krank definiert und zur faktischen Entmündigung freigegeben, nachdem der Rechtsstaat endlich erkannt hatte, das die rechtliche sich nicht mit der Würde des Menschen vereinbaren ließ.

Wir müssen gut aufpassen, wenn wir nicht unsere Demokratie weiter an die Abteilung Psycho veräußern wollen, die nichts als die katholische Kirche der Neutzeit ist und deren Scheiterhaufen und Folterkammern aus Psychopharmaka und Elektroschocks bestehen, Isolation und ähnlichen Experimenten am lebenden Objekt.

Recht ist immer unvollkommen und nur ein schlechter Kompromiss der herrschenden Meinung zur Herstellung geordenter Verhältnisse - solange es aber gilt, wie Recht eben ist, objektiv, jedem einsehbar und allgemein gültig, ist es zumindest ein tauglicher Kompromiss, die Freiheit im Miteinander in Bahnen zu halten. Wer nicht einmal dies als absolut gültig verteidigt, öffnet einem neuen Absolutismus die Tür und er wird kommt schleichend, wie die Postdemokratie, mit ihrer Königin Mutti, die nicht mehr regiert sondern nur Sachzwängen folgt, also angeblich leider alternativlos handelt, wie sie gezwungen ist, was die heutige Form des im Namen Gottes der absoluten Herrscher nur ist. Erschreckend darum die Parallele zur damals den Absolutismus stützenden Kirche in der heutigen Psychologie, die Gutachten darüber schreibt, was krank ist und was nicht, was erstaunlich große Parallelen zu den Gutachten der Inquisitoren über Hexe oder nicht aufweist.

Nur der Klarheit und Fairness sei dabei am Ende darauf hingewiesen, dass nicht etwa die Kirche die meisten Menschen hinrichten ließ, sondern im Gegenteil sogar teilweise noch mehr vor der Hinrichtung durch die urteilenden Gerichte der Städte und Länder geschützt wurden durch passende Gutachten - insofern aber Zustimmung oder Ablehnung der Hinrichtung wegen Hexerei auf dem selben bis heute verbreiteten Aberglaube beruht, kann dies dahinstehen.

Es hat sich wenig geändert über die Jahrtausende, was früher die Kirche tat, um unser Handeln in Bahnen zu halten, macht heute die vermeintliche Seelenkunde, die sich sogar als Naturwissenschaft geriert, auch wenn sie weniger mit der Anschauung der Natur zu tun hat, als der Anpassung des Aberglaubens an sie.

Die Menschen wurden rund hundertfünfzig Jahre nach der Aufklärung kritisch, Kants Geist trugt Früchte, auch wenn die meisten nie etwas von ihm lasen, Gott hatte ausgedient als sicher geglaubter Maßstab der Macht, der das Volk im Zaum hielt. Da wurde es Zeit für die Psychologie, die aus Paris und Wien um die Welt zog mit bekannten Folgen - wieder leben wir in einer Gesellschaft, in der ein kleiner Kreis von Eingeweihten über die Berechtigung zur Teilnahme am gesellschaftlichen Leben entscheidet und wer sich da nicht anpasst, muss einfach verrückt sein und sollte separiert werden, jedenfalls nicht weiter ernstgenommen.

Wann stehen wir auf, um Demokratie und Freiheit vor dem Psychoterror zu retten?
jt 18.5.14

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