Freitag, 31. Mai 2013

Nur ein Gentleman?

Nur ein Gentleman


„Wer lesen, schreiben, zeichnen, singen, fremde Sprachen sprechen könne, ein Gelehrter sei und auch in der Theologie und Jurisprudenz Bescheid wisse“
Richard Mulcaster
"Es zeichnen ihn Demut, Geduld, Nächstenliebe, Freigebigkeit, Enthaltsamkeit, Ehrlichkeit und Keuschheit aus.“
John Rastel
„Er ist die verkörperte Männlichkeit ein Beispiel vollkommenen Betragens, entschieden in allen Handlungen, stoisch im Leiden, selbstbeherrscht, rücksichtsvoll, physisch auf der Höhe und mit einer humanistischen Erziehung“
Lewis Mumfords
"Jener der sich auch in unbedeutenden Momenten gut benimmt“
Henry James
„Ein wahrer Gentleman ist jemand, der nichts dem Zufall überlässt. Es reicht nicht, daß man sich tadellos kleidet und daß alles makellos gepflegt ist. Die ganze Erscheinung muss vollkommen sein. […] Sind die Fingernägel gut manikürt? Sitzt der Hut im rechten Winkel? Ist der Regenschirm so eng gerollt, wie es sich gehört? Alle diese Fragen muss ein Gentleman sich stellen, sobald er mit dem Frühstück fertig ist.“
Bernhard Roetzel: Der Gentleman. Handbuch der klassischen Herrenmode,
„Hinter dem Gentleman verbirgt sich – ausgesprochen oder nicht – eine bestimmte Lebenskunst, in der sich in besonderer Weise Reflexion und Erfahrung, stolze Einsamkeit und soziale Kultur verdichten.“
Martin Scherer, „Der Gentleman. Plädoyer für eine Lebenskunst“
Haltung oder Anschein
Was trägt heute noch
Einen Titel aus einer
Anderen Zeit als Arbeit
Noch schändete
Würde nur vornehm
Zu sein hatte
Sich nicht um ihr
Überleben kümmerte
Weil sie einfach war
Schon die Frage nach
Dem wie dem ob
Widersprach
Kann eine am Besitz
Sich messende Gesellschaft
Noch solches Sein haben
Oder ist es ein nur noch
Lächerliches Privileg
Der einfach Reichen
Von dem Wohlstand
Einzig blieb
Welchen Wert hat das
Wertvolle Sein uns heute
Noch oder können wir
Nichts mehr jenseits
Seiner Bezahlbarkeit
Würdigen und wie
Arm sind wir dann
Wohl geworden
Könnte wer noch wohl
Anerkennung finden
Der nur einer Idee
Wegen lebt
jt 1.6.13

Sonntag, 26. Mai 2013

Wie ich mit Kant lachte und nebenbei das Glück fand




Zur Theorie des Verhältnisses von Natur und Kultur



Große Begriffe mit kleinen Anforderungen auf ein menschliches Maß schrumpfen, macht mehr Freude, als sich im überhöhten Ansatz unter relativierender Begrifflichkeit im Unfassbaren zu verlieren. Sich Freude zu machen, entspricht einem Bedürfnis meiner Natur also schrumpfen wir den Plan, über das Verhältnis von Natur und Kultur zu schreiben, auf ein sehr menschliches Maß, meinen eben beschränkten Horizont und verlieren uns nicht zu lange in dem, was andere meinten oder sahen, sondern konzentrieren uns auf alles, was ich mich frage oder sehe, es wird also zwar theoretisch aber nicht akademisch, es wird an jedem Beleg mangeln als dem des Gedächtnisses eines relativ kulturkritischen Schwärmers und wem das zu wenig ist schon im Ansatz, der möge sich die großen Abhandlungen zur Hand nehmen, die den normierten Bedürfnissen besser genügen, dahingestellt, ob sie objektiver sind, es eine objektive Theorie oder Sicht der Kultur  überhaupt geben kann oder wir immer nur auf unsere beschränkt subjektiven Mittel verwiesen sind bei der Sicht dessen, was uns zu menschlichen also Kulturwesen macht.

Nun zu sagen, was hier alles nicht erläutert und behandelt wird, könnte zwar befreiende Wirkung haben, klänge aber überflüssig akademisch wie ein formales Dankwort an alle, die es verdienen oder doch zumindest ein Amt innehaben, in dem sie genug verdienen, um auch noch jedes Dankes gewürdigt zu werden. Überflüssiges ist hier auch entbehrlich und also konzentriere ich mich an dieser Stelle auf Natur und Kultur jenseits der strittigen –ismen und ihrer abweichenden Definition und wende mich abseits aller Theorie der kreativen Schöpfung zu als ursprünglichem Kulturakt.

Wer etwas anfängt, sollte sich wohl am besten vorab fragen womit und wie.

Was ist uns noch Kultur?

Kultur ist alles, was der Mensch selbst gestaltend hervorbringt, im Unterschied zu der nicht von ihm geschaffenen und nicht veränderten Natur, wo immer die noch sein soll und ob sie durch bewundernde Wahrnehmung zur Kultur wird und am Ende Kulturerbe und Naturerbe das Gleiche sind, wenn etwa ein Stück Naturerbe zugleich kultischer also irgendwie kultureller Ort war. Aber, wir verwirren uns vor dem Blick hinter die Kulissen, was wenig zielführend für einen tieferen Durchblick sein wird.

Betrachten wir einfach möglichst neutral, wem immer das natürlich sein mag, das Wort an sich. Etymologisch entstammt das lateinische Wort colere der indogermanischen Wurzel kuel- für [sich] drehen/ wenden, so dass die ursprüngliche Bedeutung wohl im Sinne von „emsig beschäftigt sein“ zu suchen ist und so wäre Kultur ein Tun und also Schöpfung als solche. Als Kulturleistungen gelten nun alle formenden Umgestaltungen eines gegebenen Materials, wie in der Technik oder der Kunst, aber auch geistige Gebilde wie etwa Recht, Moral, Religion, Wirtschaft und Wissenschaft.

Wie ich es nun auch drehe und wende, ob die Beschäftigung mit der Kultur als solcher sowie ihre Abgrenzung von oder Vereinigung mit der Natur, schon eine kulturelle Leistung sind, könnte Ergebnis wie Zweck dieser kleinen Sammlung von Gedanken vorausnehmen. Es wird also jenseits der Selbstreflexion, die hier angekündigt wurde, keine Antwort auf die Frage geben, ob dies schon Kultur ist, vielleicht ergibt es sich ja am Ende, bis dahin müssen die Leser eben mit dieser nur eventuell kulturellen Buchstabensammlung vorlieb nehmen oder etwas sinnvolles lesen.

Das Wort Kultur hat eine lange Geschichte, die unser Denken darüber verständlicher machen kann. Bei den alten Römern prägte Plinius der Ältere zwar noch nicht das Wort „Kultur“ als einen Begriff, unterschied allerdings schon zwischen terrenus (zum Erdreich gehörend) und facticius (künstlich Hergestelltes). Im lateinischen Raum wird der Begriff cultura sowohl auf die persönliche Kultur von Individuen als auch auf die Kultur bestimmter historischer Perioden angewendet. So charakterisiert noch davor Cicero die Philosophie als cultura animi, das heißt als Pflege des Geistes. Neben der Kultur als Sachkultur bei Plinius findet sich also auch Kultur als Bearbeitung der eigenen Persönlichkeit.

Viel entscheidender aber hat Lukrez mit seinem rationalen Denken und seiner Sicht auf den Menschen den Geist des republikanischen Roms geprägt, er starb wenige Jahre nach Ciceros Geburt und erlebte den Untergang der Republik im folgenden Kaiserreich nicht mehr. Er hat den Geist seiner Zeit und damit eben die Kultur wiedergegeben und mitgeformt, indem er den Menschen als Natur bezeichnete und sein Handeln und Denken in einen natürlichen Kontext stellte.

Damit bricht erst das römische Kaiserreich wieder, in dem die Götter mächtiger wurden, deren Existenz er leugnete, und Menschen sich zu Göttern machte, wie wir es auch im später vom Kaisertum aufgenommenen und angepassten Christentum sehen können, welches das Heil außerhalb des Menschen und weit jenseits aller Vernunft sah.

Es sollte dann wiederum über tausend Jahre dauern, bis in der Renaissance der alte Humanismus wiederentdeckt wurde und für gut befunden wurde und viele mussten dennoch unter der Herrschaft der Kirche noch die Suche nach Vernunft mit dem Leben bezahlen wie etwa Giordano Bruno. Müssen es bis heute in religiös geprägten Regionen der Welt, wobei nun eine Frage wäre, was davon Kultur und was natürlicher Machttrieb des Menschen ist, ob die Religion und ihre Organisation eher eine bequeme Form der Machtausübung ist oder die teils sehr komplizierten Antworten auf überflüssige Fragen im metaphysischen Bereich und die dort erdachten Welten auch ein Teil unserer Natur sind, es zum Trieb mancher Menschen gehört, irrationale Antworten auf vernünftige oder überflüssige Fragen zu suchen.

Für meinen lieben Königsberger, der uns mit seinem Imperativ die Freiheit schenkte, Imanuel Kant also, sind Mensch und Kultur ein Endzweck der Natur. Dabei ist mit diesem Endzweck der Natur gerade die moralische Fähigkeit des Menschen zu eben jenem größte Freiheit begründenden kategorischen Imperativ verbunden: „Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde.“ Ein solches allgemeines Gesetz anzuerkennen als „Idee der Moralität gehört noch zur Kultur.“ Es ist dieser Leitsatz des moralischen Handelns, der den Menschen einerseits von der Natur trennt, andererseits steht er als Endziel der Natur in ihrem Dienst dieses Ziel zu achten und zu verfolgen. Ohne diesen moralischen Leitsatz vermag der Mensch sich bloß technologisch fortzuentwickeln, was zur Zivilisation führt. Natur kann ihm aber beides sein, als Endziel wie als Ausgangspunkt, was uns wieder zu Lukrez führt, den Kant nebenbei auch mehr als schätzte, was manches über die Ernsthaftigkeit von Kants formell gegebenen Christentum aussagt.

Der Anthropologe Edward Tylor bestimmt Kultur  dann 1871 ("Primitive Culture"), also wiederum gut 100 Jahre später, unter Aufnahme der darwinschen Evolutionstheorie und gibt so eine erste an den Erkenntnissen der Naturwissenschaft orientierte Definition: „Cultur oder Civilisation im weitesten ethnographischen Sinn ist jener Inbegriff von Wissen, Glauben, Kunst, Moral, Gesetz, Sitte und alle übrigen Fähigkeiten und Gewohnheiten, welche der Mensch als Glied der Gesellschaft sich angeeignet hat.“

Nach Albert Schweitzer erstrebt die Kultur letztlich „die geistige und sittliche Vollendung des Einzelnen“. Wobei sich die Frage stellt, was der Straßburger Pastor und spätere afrikanische Arzt nun natürlich fand, inwieweit es ihm um die Natur des Menschen ging oder doch eine weitere Betrachtung gemeint war, er transzendierte und von einer nur geglaubten Vollendung ausging, denn fertig ist der Mensch ansonsten mit dem Leben, wenn es endet, womit kulturelles Streben relativ moribund wohl wäre, was der gute Mensch von Lambarene sicher nicht meinte, sein persönlicher transzendenter Bezug scheint mir aber wiederum so irrelevant, dass er bei einer zielführenden Betrachtung außen vorbleiben kann. Im Ergebnis nett aber im Herangehen nicht ernst zu nehmen, was sicher wieder keiner lesen möchte.

Einzig im deutschsprachigen Raum hat sich im übrigen der Gegensatz „Kultur“ und „Zivilisation“ entwickelt, wie ihn auch Kant schon nutzte, während beispielsweise im englischen Sprachraum lange Zeit nur ein Wort für „Kultur“ (civilization) genutzt wurde. (Vgl. den Titel von Samuel P. Huntington Clash of civilisations, im Deutschen Kampf der Kulturen.) Erst seit einigen Jahrzehnten findet sich auch culture häufiger, ohne dass hiermit jedoch auf einen Gegensatz zu civilization Bezug genommen wurde.

Auch die Franzosen unterscheiden hier, tun es aber in einem anderen Geist und mit einer anderen Tendenz, was nun zu interessanten Gedanken zu einer europäischen Kultur gerade in Zeiten der Krise führen und an dieser Stelle also abseitig verführen könnte, da wir aber noch nicht am Ziel einer irgendwie Antwort auf die jeweilige Beteiligung aneinander angelangt sind und also weiter suchen, wie kultiviert wir natürlicherweise sind, soll an dieser Stelle dieser wunderbare Ast geistiger Suche nicht weiter verfolgt, sondern sich konzentriert werden auf die entscheidende Frage, wo ist der Gegensatz und was ist von wem im anderen.

Die früheste Formulierung dieses Gegensatzes stammt von Immanuel Kant:

    „Wir sind im hohen Grade durch Kunst und Wissenschaft cultivirt. Wir sind civilisirt bis zum Überlästigen, zu allerlei gesellschaftlicher Artigkeit und Anständigkeit. Aber uns für schon moralisirt zu halten, daran fehlt noch sehr viel. Denn die Idee der Moralität gehört noch zur Cultur; der Gebrauch dieser Idee aber, welcher nur auf das Sittenähnliche in der Ehrliebe und der äußeren Anständigkeit hinausläuft, macht blos die Civilisirung aus.“

Verlieren wir danach in der Zivilisation unsere natürliche Kultur und werden uns entfremdet?

Was im deutschen Wesen hat diese seltsame Dialektik aufkommen lassen, die weder ganz bei sich ist, noch die Zivilisation würdigt, sie nur als kulturell notwendiges Übel wohl oder übel duldet?

Wir wissen wenig über unsere Vorfahren, viel beruht auf Mutmaßungen und lange galt uns der Tacitus mit seiner fett-faule Römer aufrüttelnden Berichterstattung als authentischster Reporter aus dem Reich unserer Vorfahren. Auch wenn dies mittlerweile als Propagandalüge entlarvt wurde, bleibt die spannende Frage, wie viel Bericht steckt unter der Absicht und inwieweit steckt in dieser bis heute teilweise sprachlichen Unterscheidung noch eine zurück zur Natur-Bewegung der wieder Möchtegern Germanen auf ihrem Weg zu sich?

Ist es eine Ode auf den deutschen Wald, der einst religiös verehrt wurde, also Kulturgut war oder ist es die gespaltene Natur von uns früheren Waldbewohnern zwischen Kulturgut natur und nur mühsamer Integration in die wesensmäßig fremd gebliebene lateinische Kultur – die Barbaren trinken Bier, die Zivilisation genießt Wein – aber das führte nun zu weit vom Thema, auch wenn es der Natur recht nahe liegt.

Der Begriff wanderte weiter bis über die Preisgabe jeder Zivilisation im Umgang mit Menschen in der Zeit des Nationalsozialismus und dem, von diesen entscheidend verursachten, Weltkrieg. Ein Bruch in der menschlichen Geschichte des Schreckens und der Grausamkeit, der zu einer Versachlichung des Lebens, um der Zerstörung einer partiellen Kultur wegen, führte. Die Versachlichung ist ein hier zweischneidiger Begriff, der aber den Prozess treffend beschreibt, der bist heute fortdauert.

Menschen wurden zu Gegenständen der Vernichtung, ihre Überbleibsel soweit möglich industriell genutzt, wenn sie auf dem Weg zur Tötung nicht mehr anders im tödlichen System effektiv eingesetzt werden konnten, der Rest wurde möglichst spurlos entsorgt, ging in Rauch auf im Himmel über Auschwitz und anderen Orten der präzisen, wohl geordneten, sauber organisierten und auf speziell deutsche Art sehr effektiven Vernichtung einer Kultur, die unsere Zivilisation entscheidend mitprägte.

Manche stellten danach die Frage, ob es nach dieser Pervertierung deutscher Sekundärtugenden noch unschuldige deutsche Gedichte wieder geben kann, die Vernichtung der Kultur des Lebens nicht der Sprache der Mörder jede Unschuld raubte. Sie konnten und könnten nicht widerlegt werden, mit dieser Vermutung, denn die gleichen Buchstaben und Worte selbiger Sprache, die hier nach dem Zusammenhang von Kultur und Natur suchte, war auch die der vollkommenen Organisation ihrer Vernichtung. Es gab also keine unschuldigen Worte mehr und es fragte sich, ob die Sprache und ihr gesprochenes Echo diese Verantwortung ewig weiter trägt oder kommende Generationen sich wieder in der Unschuld bewähren können und dies ohne die Gnade der späten Geburt.

Es gab schon bald wieder deutsche Literatur und Lyrik, es lebten und liebten hier weiter Menschen, und auch wenn es erschreckenderweise immer mehr werden, die sich von Schuld und Verantwortung persönlich rein waschen wollen, als könnte Geschichte anders je überwunden werden, als durch Auseinandersetzung und Konfrontation mit ihr, zu viele sich nicht mal mehr für ihre Wurzeln interessieren und lieber voller Freude, wenn auch notwendig haltlos, durch die Spaßgesellschaft schweben, es lebt und liebt sich noch in unserer Sprache und es wurde in ihr eine Demokratie und ein neues Verständnis von Menschenrechten entwickelt. Hoffen wir, dass die Stimmen der Aufmerksamen immer laut genug bleiben, die der teilnahmslosen Masse zu übertönen, die sich nur nach Spaß und Unterhaltung sehnt, wie Pessimisten behaupten würden oder positiver gedacht, die Vernunft noch genug natürlichen Nährboden findet, dass diejenigen, die ausblenden wollen, lieber wegsehen, immer eine Minderheit bleiben.

Interessanterweise stellte der Staat, der sich nach demokratischen Maßstäben auf die Orgie der Vernichtung von Kultur gründete, die frühere Bundesrepublik, den Begriff der Würde des Menschen, aller Menschen, an die Spitze seiner Agenda, machte ihn zum Artikel 1 seines Grundgesetzes, der immer noch vorläufigen Verfassung der mittlerweile postdemokratischen Berliner Republik. Ob dieses Bekenntnis zur Lehre aus der Geschichte, die das Menschsein infrage stellte, auf nie dagewesene Weise entmenschte und aus Rassenwahn vernichtete, genügte für eine friedlichere Zukunft und die aktuellen Infragestellungen überlebt, wissen wir noch nicht. Ob die Preisgabe des vollmundigen Artikels bereits bei der betroffen schauenden Inkaufnahme von Kollateralschäden geschah, oder erst mit der teilweise zeitgleichen Übereignung des Sozialstaats an die Banken als Gläubiger der Gemeinschaft sich vollzog, am Ende erst wirklich gefährlich wurde für den obersten Grundsatz als wir unsere Armee beauftragten, sich Waffen anonymer Vernichtung mit Fernsteuerung in Drohnenform zu besorgen, sollte einer streitbaren Demokratie noch manches Wort wert sein.

Dieser scheinbar abseitige Einschub aktueller Politik und ihrer kritischen geistigen Fragen, der die gezielte Vernichtung bestimmter unerwünschter Personengruppen zum Thema hat, führt uns wieder auf die entscheidende Frage zurück, denn es gab nach der Shoa nicht wenige Menschen, die sagten, am deutschen Wesen könnte die Welt nicht genesen sondern nur weiter verwesen und einen beschränkten Ackerstaat auf dem Land ehemals großer Denker lieber errichten wollten oder sich an den ehemals zwei deutschen Staaten freuten, weil mehr davon, weniger vom Ganzen schien, da sie eben fürchteten, es läge in der Natur unseres Volkes, immer wieder zur Vernichtung anderer zu greifen, die grandiose Ethik eines Kant mit Füßen zu treten.

Was wäre wohl in der verordnet ungebildeten Ackerrepublik Deutschland aus der Sprachkultur geworden, ließ sich eine solche einfach von oben beseitigen oder wäre der Mangel an Bildung ein viel höheres Risiko für einen Rückfall in atavistische Muster gewesen?

Wir wissen es nicht, aber ob ein solcher Versuch ohne erneute umfassende Bücherverbrennung von Erfolg gekrönt gewesen wäre, scheint mehr als fragwürdig und zum Glück müssen wir uns nicht mehr mit dieser Frage beschäftigen, es hat sich eine demokratische Kultur in Verantwortung gebildet, die zwar wieder gefährlich an ihre Grenzen stößt aber zumindest eine Lehre aus der Geschichte in Verantwortung gezogen hat – wie weit diese genügt, wo Nachbesserungsbedarf besteht und wie beschränkt unser Horizont dabei ist, könnte Gegenstand einer eigenen Erörterung werden, jedenfalls lässt sich hier dem Gedanken entgegentreten, die Täterschaft der Vernichtung läge in der Natur, sei Teil der deutschen Kultur und damit unvermeidbar, was uns nun endlich zur ursprünglichen Frage zurückgeführt hat. Unser Wesen, also unsere Natur scheint unsere Kultur zu prägen und diese lebt von ihm, dahingestellt, was wir davon derzeit natürlich nennen, was zivilisiert und was unnatürlich überformt.

Einer, der noch in dieses System der Vernichtung hineingeboren wurde, half es geistig zu überwinden, auch wenn er zumindest formal so verstrickt war, wie die wohl meisten in einer Diktatur, wurden seine Gedanken zur Demokratie und ihren sozialen Systemen entscheidend und wichtig für den Aufbau einer zivilen Kultur des Diskurses. Für den Systemtheoretiker Niklas Luhmann, einen Bielefelder, dass es also allem Anschein in der geistigen Welt jedenfalls wirklich gab, beginnt geschichtlich gesehen Kultur erst dann, wenn es einer Gesellschaft gelingt, nicht nur Beobachtungen vom Menschen und dessen Umwelt anzustellen, sondern auch Formen und Blickwinkel der Beobachtungen der Beobachtungen zu entwickeln.

Es läge nun nahe an die Frankfurter Schule, ihre Vordenker und Schüler zu schreiben, den großen Habermas zu erwähnen und seine Theorie des Diskurses und wie weit die diskursfähige Gesellschaft von ihren Wurzeln ist oder wie nah sie schon an ihnen ist, wer wir wirklich sind als natürliche Wesen und ob diese Natur vernünftig ist, wir liebend also weniger oder gerade um so mehr menschlich wären, wenn uns unsere Natur bestimmt also zumindest nichts, was wir im ersten Moment logisch begreifen können.

Es soll sich hier die ewige Diskussion um göttliche Wesen erspart werden, warum wer sie sich ausdenkt, wieso sie manche für wahr halten und meinen, wer sich nur an die Fakten halte, glaube genauso, eben an Fakten, wie sie eben an erdachte Götter, da es müßig ist, denen die glauben, es gäbe höhere Wesen, die etwas schöpften, zu erläutern, dass diese Hypothese sich schon im Grundsatz von der bloßen Betrachtung der Welt unterscheidet, die diese eben als natürlich betrachtet und was auf ihr lebt und gedeiht ebenso.

Eine Betrachtung der Welt, die sich die Frage nach dem Zusammenhang von Natur und Kultur stellt, muss sich allerdings logisch auch diesem wichtigen Teilaspekt der allermeisten Kulturen stellen, eben der Suche nach höherem Sinn, dem transzendieren und also dem metaphysischen, stets spekulativen Grund des Seins, den die Natur nicht stellt, die einfach ist, die sich aber die Menschen überall auf dem Planeten durch alle Jahrtausende stellten, als gehörte es zu unserer Natur an Götter zu glauben, einen Sinn zu suchen oder auf ein Leben nach dem Tod zu hoffen, wurden da die irrwitzigsten Konstruktionen erdacht mit bekannter teilweiser Geringschätzung gegenüber Andersdenkenden, dem menschlichen Leben oder Frauen insbesondere.

Ist die Annahme eines metaphysischen Seins, also eines solchen, das über dem natürlichen Sein steht, geboten und sinnvoll oder ist es nur wieder eine Flucht vor der Wirklichkeit, deren Grenzen manchen zu unromantisch scheinen, jedenfalls wohl nicht genügen, erfüllt und friedlich darin zu leben, da sie sich weiter massenhaft, um bloßer Glaubensfragen wegen, gegenseitig umbringen, teilweise sogar schon in den Hauptstädten der westlichen Demokratie atavistische Narren ihre tödlichen Riten an denen praktizieren, die sie für die Bösen halten.

Stellt sich die Frage, woher wir wissen wollen, was gut und was böse sei und was uns befähigt, darüber für andere zu urteilen. Diese Frage, die für so manchen schon die nach dem Sinn des Seins war, was zwar schon eine Antwort in der Frage enthält, ohne dass noch irgendeine Offenheit gegeben wäre, was ist, gilt als eine nach den letzten Dingen.  Sie sind das Thema der Metaphysik, die hier insofern relevant wäre, als sie der Bereich ist, in dem die Menschen am intensivsten ihre geistigen Neigungen von der Natur unterscheiden, eine solitäre Welt sich erdenken, die neben der Natur stünde und damit unsere Kultur seit Jahrtausenden mitprägen.

Was genau ist die Metaphysik, von welcher Relevanz ist sie noch und wie stellen wir uns, unserer Natur gemäß zu ihr?

Die Metaphysik, was von lateinisch metaphysica wie von griechisch μετά, metá stammt, was „danach, hinter, jenseits“ heißt, und φύσις, phýsis, „Natur, natürliche Beschaffenheit“, ist bis jetzt eine Grunddisziplin der Philosophie. Metaphysische Systementwürfe behandeln in ihren klassischen Formen die zentralen Probleme der theoretischen Philosophie, die da wären die Beschreibung der Fundamente, Voraussetzungen, Ursachen oder „ersten Gründe“, der allgemeinsten Strukturen, Gesetzlichkeiten und Prinzipien sowie von Sinn und Zweck der gesamten Wirklichkeit bzw. allen Seins. Das, worum es sich im Kern dreht, wie wir gerne meinen oder wie es im Faust formuliert ist, „was die Welt im innersten zusammenhält“.

Konkret bedeutet dies, dass die klassische Metaphysik die sogenannten „letzten Fragen“ verhandelt:

Gibt es einen letzten Sinn, warum die Welt überhaupt existiert? Und dafür, dass sie gerade so eingerichtet ist, wie sie es ist?

Gibt es einen Gott/Götter und wenn ja, was können wir über ihn/sie wissen? Was macht das Wesen des Menschen aus?

Gibt es so etwas wie „Geistiges“, insbesondere einen grundlegenden Unterschied zwischen Geist und Materie (Leib-Seele-Problem)?

Besitzt der Mensch eine unsterbliche Seele, verfügt er über einen Freien Willen?

Verändert sich alles oder gibt es auch Dinge und Zusammenhänge, die bei allem Wechsel der Erscheinungen immer gleich bleiben?

Ob diese Fragen so sinnvoll oder natürlich sind oder bereits Ausdruck einer abseitigen Bewegung kann dahinstehen, sie beschäftigen die Menschen überall auf der Welt seit Menschengedenken, sind also jedenfalls Teil der menschlichen Kultur und die wichtigsten Seiten der Kultur wurden aus den jeweiligen Antworten entwickelt, gaben der Philosophie wie der Politik oft entscheidenden Ansporn, waren also faktisch immer relevant, auch wenn sie logisch oder natürlich irrelevant sein könnten.

Die Gegenstände der Metaphysik sind dabei nicht durch empirische Einzeluntersuchungen zugängliche, sondern diesen zugrundeliegende Bereiche der Wirklichkeit. Also eine emprisch nicht erfassbare Wirklichkeit, was in der Natur, die ja eben messbar ist, schon ein Wunder an sich ist.

Dieser Anspruch, Erkenntnisse außerhalb der Grenzen der sinnlichen Erfahrung zu formulieren, wurde natürlich auch vielfach kritisiert – die allgemeine Metaphysikkritik begleitet die metaphysischen Systemversuche von Anfang an und sind, auch wenn im 19. und 20. Jahrhundert entwickelt, oftmals als ein Kennzeichen moderner Weltanschauung verstanden worden. Dagegen meinen bis heute viele, Fragen nach einem letzten Sinn und einem systematisch beschreibbaren „großen Ganzen“ als auf natürliche Weise im Menschen angelegt, als ein „unhintertreibliches Bedürfnis“ (Kant), ja den Menschen sogar als „animal metaphysicum“, als ein „metaphysiktreibendes Lebewesen“ (Schopenhauer) sehen zu müssen, als gäbe die geistige Möglichkeit einer Fragestellung dieser eine natürliche Existenz. Seit Mitte des 20. Jahrhunderts werden, seltsam genug, klassischer analytisch-empiristischer und kontinentaler Metaphysikkritik zum Trotz, wieder komplexe systematische Debatten zu metaphysischen Problemen von Seiten meist analytisch geschulter Philosophen geführt. Ob damit der häufig damit verbundene Kampf der Kulturen ein Teil unserer Natur ist oder nur ein vielleicht sogar erwünschter Nebeneffekt der Polarisierer, die ihr Weltbild erhalten wollen, den begründeten Zweifeln zum Trotz, wird eine der spannenden Fragen der Zukunft sein, die wir für uns zu beantworten haben werden, wenn wir sittlich werten wollen.

Sich diesem Grenzbereich zwischen Logik und altem Aberglauben zu nähern, scheint zunächst keiner angemessener als der Königsberger Philosoph mit seinem oben zitierten unhintertreiblichen Bedürfnis. Wie sah Imanuel Kant das Thema im Verhältnis zur Natur, ist der, der die bis heute gültige Begründung unserer Freiheit in sittlicher und moralischer Hinsicht fand auch der taugliche Maßstab in Fragen der Metaphysik oder ist es mal wieder an der Zeit ein Denkmal auch in diesem Bereich zu stürzen.

Erkenntnis setzt für Kant Denken und Anschauung voraus. Metaphysische Gegenstände wie „Gott“, „Seele“ oder ein „Weltganzes“ sind aber nicht anschaulich gegeben. Die traditionelle Metaphysik sei daher undurchführbar. Sie müsste eine „geistige Anschauung“ voraussetzen, ein Erkenntnisvermögen, das ohne sinnliche Anschauung Zugriff auf ideelle Gegenstände hätte. Da wir ein solches Vermögen nicht besitzen, ist die traditionelle Metaphysik bloß spekulativ-konstruktiv. Kants Auffassung gemäß ist es prinzipiell nicht möglich, zu einer rationalen Entscheidung der zentralen Fragen zu kommen, ob es einen Gott, eine Freiheit des Willens, eine unsterbliche Seele gibt. Sein Fazit lautet:

    „Die menschliche Vernunft hat das besondere Schicksal in einer Gattung ihrer Erkenntnisse: dass sie durch Fragen belästigt wird, die sie nicht abweisen kann; denn sie sind ihr durch die Natur der Vernunft selbst aufgegeben, die sie aber auch nicht beantworten kann; denn sie übersteigen alles Vermögen der menschlichen Vernunft.“

Insoweit fällt die Zustimmung leicht und ist die Logik gut zugänglich. Alles Metaphysische ist also nicht vernünftig fassbar und auch nicht beweisbar, wir müssen uns nur mit bestimmten Fragen geistig auseinandersetzen, da wir sie uns stellen. Unklar bleibt dabei noch, was nun in der Natur des Menschen und der Sache liegt und was davon zu separieren wäre, ob überhaupt etwas.

Ausgehend vom praktisch-sittlichen Handeln versuchte Kant nun in der Kritik der praktischen Vernunft eine Neubegründung der Metaphysik. Die praktische Vernunft stelle notwendig „Postulate“ auf, deren Erfüllung die Voraussetzung sittlichen Handelns darstellt und an diesen wird die Notwendigkeit der Idee einer Metaphysik in unserer Natur dann wohl zu messen sein

  1. Die Freiheit des Willens muss gefordert werden, da ein sittliches Gesetz keinen Sinn hat, wenn es nicht zugleich die Freiheit dessen gibt, der das Gesetz erfüllen soll.


Insoweit wird noch logisch zuzustimmen sein, da nicht erkennbar ist, wie wir uns darüber und damit auseinandersetzen wollten, wenn wir es nicht könnten. Die Annahme des Willens als frei könnte aber auch noch viel mehr als ein Postulat der praktischen Vernunft sein, sofern wir einen natürlichen Beweis für seine Existenz führen können, ihn empirisch belegten, was teilweise die Hirnforschung in aktueller Selbstanmaßung zu widerlegen versucht (hier in Die Freiheit – als eine schöne Kunst betrachtet http://grossstadtflaneur.blogspot.de/2013/05/die-freiheit-als-eine-schone-kunst.html ).

Hier laufen wir nun Gefahr, auf den beim Thema Natur und Kultur schnell vom Wege abführenden Pfad der Diskussion der Prädestination zu geraten. Dennoch kann er nicht ignoriert werden, weil das bloße Postulat der Willensfreiheit bei der Frage nach der Natur unserer Kultur zu keiner befriedigenden Antwort mehr führen kann, es sei denn, wir sähen die Fähigkeit zur Setzung dieses Postulates als Kulturleistung sui generis an, was zumindest zweifelhaft scheint.

Es stellt sich also die Frage, ob die bloße Möglichkeit einen freien Willen zu beschließen, genügen kann dessen faktische Existenz qua natura zu begründen.

Die Antwort ist, erstaunlich beim Thema und hinsichtlich des Vorangehenden, erstaunlich schlicht: Ja, es genügt. Es ist immer noch das Credo des Descartes, das cogito ergo sum, ich denke also bin ich, das hier seine praktische Antwort findet. Weil ich es denken kann und es mich zu fragen fähig bin, ist es existent.

Nur ob die Wahrnehmung dessen, was mir mein Gehirn und seine neuronalen Netze hier vielleicht vorgaukeln, die Wirklichkeit ist, oder nur eine erdachte Welt, ein geistiger Kosmos, wird damit nicht beantwortet, genauso wenig, ob dies unserer Natur entspricht oder eine abseitige kulturelle Entwicklung infolge völliger Selbstüberschätzung ist. Es könnte dahin stehen, sofern wir mit der selbst geschaffenen Welt in den Grenzen unseres Horizontes leben könnten. Da wir es seit tausenden von Jahren mit differrierenden Antworten tun, spricht viel für ein faktisches Können. Es ist nicht widerlegt, dass wir leben, gehen wir also davon aus, wir tun es noch und nehmen wir, was wir zumindest denken können als für gedacht, dann stellen sich viele Fragen nicht mehr. Unsere natürliche Existenz und ihre Neigung sich zu hinterfragen, belegt sich selbst im so sein. Wir müssen also zum ersten Postulat feststellen, es ist überflüssig, hier den sicheren Boden der Natur zu verlassen und sich auf das luftige Trapez der Metaphysik zu schwingen. Bevor wir nun fragen, ob der Meister aus Königsberg irrte, ironisch brach oder absurd war, wenden wir uns noch den anderen Postulaten zu.

  1. Die Unsterblichkeit der Seele ist notwendig, weil sich der konkrete Mensch in seiner natürlichen, nach Glückseligkeit suchenden Existenz dem moralischen Gesetz nur „in einem ins Unendliche gehenden Progressus“ annähern kann; diese Annäherung behält aber nur unter der Voraussetzung Sinn, dass der Tod sie nicht wertlos macht, sondern ihr „über das Leben hinaus“ Bedeutung verleiht.

Eine doppelte Verneinung ist in aller Regel eine Bejahung, die nur betont wird. Was die Seele oder eine Seele überhaupt sein soll, wird hier nicht erläutert, sondern selbst postuliert, auch wenn diese nicht nachweisbare Existenz von etwas außerhalb unserer selbst, das Anteil an uns haben, aber noch sein soll, wenn wir nicht sind, schon eine sehr kühne Phantasie ist und für den Lukrez Anhänger Kant eher nach einem ironischen Scherz klingt. Dazu kommt die Frage, was der, der in den Träumen eines Geistersehers so treffend den Zeitgenossen und Phantasten Sevedenborg zerfetzende Denker sich unter einer unsterblichen Seele wohl vorstellte, wenn er doch schon seinen Geisterseher unter das folgende Motto stellte: velut aegri somnia vanae finguntur species "Die leeren Gestalten werden erdichtet wie Traumbilder eines Kranken."

Nichts geht uns der Tod an und was über ihn hinaus sein sollte oder könnte, ist für das Sein völlig irrelevant, schrieb schon Lukrez in seinem de rerum natura hundert Jahre bevor der simplifizierende Messias der Reduktion erschien und das Denken einstellen ließ über fast tausend Jahre und Kant schätze ihn sehr, wie sein Zeitgenosse Friedrich II. oder deren Zeitgenosse Jefferson, der sich ähnlich auch äußerte. Was kommt oder noch ist, bleibt bloße Spekulation, ist sicher nicht geeignet eine kategorische Antwort auf dringende sittliche Fragen zu finden, eine Handlungsperspektive zu geben, wieso gibt uns dann einer der klarsten und konsequentesten Denker der Zeit eine solch absurde Antwort als Grundsatzentscheidung über die Frage, worauf es ankommt, wenn er doch klar postulierte, was die Metaphysik betrifft, haben wir zwar den Geist, uns diese Fragen zu stellen aber nicht die Möglichkeit diese logisch zu beantworten, es sind immer nur Postulate, die so wild sein können, wie sie wollen, und die Geschichte der Menschheit zeigt hier manch absurde Entwicklung, sie haben keinen logischen Grund und die Absurdität der Postulate, was sich beim Dritten noch deutlicher zeigt, belegt, es kommt auf sie nicht an, wir können die Metaphysik nicht ernst nehmen, sie bnasiert auf bloß willkürlichen Setzungen und ist damit für die sittliche Autonomie im Sinne des kategorischen Imperativs notwendig irrelevant, denn welchen regionalen Aberglauben wir auch zugrunde legen, welcher Mensch auch immer seine Natur überwundern haben soll, um Prophet zu Mekka oder Messias zu Jerusalem zu werden oder Buddha irgendwo im nirgendwo, es sind und bleiben eben menschliche Geschichten, voller Erfindungsreichtum und teilweise Schönheit, als kategorischer Maßstab werden sie nie taugen.


  1. Nur durch die Existenz Gottes aber ist garantiert, dass Natur und Sittengesetz letztlich miteinander versöhnt werden. Gott ist nur vorstellbar als ein Wesen, das sowohl die „von der Natur unterschiedene Ursache der gesamten Natur“ als auch eine aus „moralischer Gesinnung“ handelnde „Intelligenz“ ist.

Hier wird die doppelte Brechung noch weiter getrieben und im Geiste des Lukrez, den der Königsberger Philosophielehrer gut kannte, ist deutlich, dass Kant hier seinen Lesern den Spiegel ihrer Blindheit vorhielt und es waren noch wenige, die tief hinein zu sehen wagten.

Wer im kategorischen Imperativ das Gewissen des Einzelnen über alles stellt, es dem Einzelnen aufgibt, sich an seinem Gewissen zu orientieren, um einen Handlungsmaßstab zu finden, der sein Tun kategorisch richtig macht, die Entscheidung über Gut und Böse eben in unser Gewissen legte, kann nicht ernsthaft von einem erdachten Gott als Wesensgrund phantasieren, der Natur und Sittengesetz miteinander versöhnt, wenn diese ihm ohnehin eins sind. Der hier postulierte vernünftige Gott als moralische Instanz gegenüber dem autonom handelnden Einzelnen in voller sittlicher Autonomie ist eine notwendig absurde Konstruktion.

Kant redet Quatsch, um uns darauf hinzuweisen, wie absurd die Begründung einer Metaphysik notwendig sein muss im Lichte des kategorischen Imperativ und seines Freiheitsverständnisses – wer ihn kannte und sein Freiheitsverständnis, auch den Lukrez las, wie sein König, der aber den ostpreußischen Denker leider nicht las, könnte ihn verstehen, ansonsten war er ein höflicher preußischer Beamter, dem niemand aufrührerische Worte nachweisen konnten, auch wenn in seinem Imperativ schon die Wurzel der Revolution mit ihrem Dreiklang von Freiheit, Gleicheit und Brüderlichkeit seinen logischsten Ausdruck fand, auf dezent preußische Art nur.


Es kommt am Ende nicht darauf an, ob es in unserer Natur liegt, die Frage nach höheren Wesen oder einem Sinn des Seins zu stellen – das mag sein oder nicht sein – manche haben in ihrer Phantasie mehr Geister, andere weniger – es kommt vielmehr darauf an, welchen Nutzen wir aus dieser Frage ziehen und inwiefern es unser Leben bereichert, außer um selbstbezügliche Antworten auf Fragen, die sich für den Ablauf der Natur und die Funktion des Sittengesetzes unter autonom Handelnden, wie sie der kantsche Imperativ aus sich heraus uns schenkt, nie stellen. Die Natur fragt ob ihres Seins nicht nach seinem Sinn, sie fragt danach, wie wir es uns darin möglichst angenehm machen, wie wir am besten und schönsten überleben.

Wir sind dabei für unser Glück verantwortlich, wie, so weit wir es beeinflussen können, für unser Unglück. In dieser Freiheit gestalten wir die Welt nach unserem Vergnügen, machen es uns schön, weil es eben unsere Natur ist, es so schön wie nur möglich haben zu wollen. Von diesem Ergebnis aus auf den Weg schauend, stellt sich die Frage, warum die Menschen immer wieder auf Wege setzten, die dieses Glück erschwerten und die Hoffnung entweder auf ein Leben nach dem Tode setzten oder sich vor der Strafe danach ihr Leben lang fürchten, statt ausgiebig zu genießen.

Weitsichtig waren die Baumeister der geistigen Geschichte also immer dann nicht, will es scheinen, wenn sie versuchten ihre Häuser in den Himmel zu setzen, Glauben für wahr hielten und infolge anderen Menschen entweder ihre Überzeugung aufzwangen oder im Falle eines misslingen dieses Versuches, sie zu vernichten versuchten oder in die Sklaverei führten, die heute nur in ökonomischen Abhängigkeiten umgemünzt wurden, die sich mit den Buchstaben nur noch formeller Verfassungen vereinbaren lassen. Klug handelten sie und glücklich waren sie über längere friedliche Zeiten, wo sie sich auf sich konzentrierten, sich mit dem Glück des Epikur, des Kreises freier Geister bei maßvollem Essen und Wein zufrieden gaben, mit sich und ihrer Natur zivilisiert als eine hohe Kultur des Geistes in Einklang lebten. Es geht nicht um ein Plädoyer für das Mittelmaß, nichts liegt mir ferner, sondern um ein klares Bekenntnis zum Streben nach Glück in größtmöglicher Harmonie mit unserer Natur, die an unserer Neigung zum Übermaß leidet, wie wir an falscher Moral es schon lange tun, bis sich endlich einer traut dem Grauen ein Ende zu bereiten, an nichts zu glauben, als das persönliche Glück in einer harmonischen Gemeinschaft eben endlich Lebender und so Natur und Geist in den Einklang bringt, der uns am ehesten entspricht, in Frieden und wo möglich leidenschaftlich liebend zu leben für den kleinen Augenblick, den wir haben und was mehr könnte Kultur je erreichen als uns mit unserer Natur in Harmonie leben zu lassen, wie immer wir sie uns gerade schön vorstellen?

Wer nach seinem Fundament schaut, sollte auf sicheren Grund stehen - seltsam nur, dass Menschen dafür so gerne die klaren Wege der Vernunft verlassen und jenseitige Antworten auf letzte Fragen suchen. Um unserer Kultur und uns ein Haus für die Zukunft zu bauen, sollten wir den Blick auf den Boden richten, bevor wir das Fundament ausheben, in die Umgebung, um zu sehen, woher der Wind weht und von wo die Sonne wann kommt – nach oben müssen wir nur dazu schauen, soweit wir Regen vor der Fertigstellung des Daches fürchten müssen, ansonsten ist der Himmel für unsere Zukunft irrelevant und sollte uns von da ein Meteorit erschlagen, weil wir auf seiner Bahn liegen, wird sich nichts daran ändern, ob wir es vorher wissen oder nicht, aber was uns auch trifft, haben wir zumindest bis dahin so glücklich wie möglich gelebt im Bewusstsein unserer moralischen Autonomie als Kulturgut unserer Natur entsprechend.

Machen wir es uns unserer Natur gemäß als höchste Kulturleistung so schön wie möglich, es könnte schöner werden, als wir noch ahnen, sich darauf einzulassen.
© jens tuengerthal 26.05.13


Montag, 20. Mai 2013

Die Freiheit — als eine schöne Kunst betrachtet?



Der folgende Text schließt an den gestrigen zu Freiheit und Liebe an, ist aber schon acht Jahre älter und wurde im Jahr 2005 als Wettbewerbsteilnahme im Schillerjahr verwendet und dort angemessen ignoriert - viele Fragen passen zur aktuellen Diskussion des Freiheitsbegriffes und darum scheint die Wiederveröffentlichung trotz der zugegeben etwas verstiegenen Sprache angemessen und vielleicht sogar geboten, denn wohin steuert unsere Freiheit im postdemokratischen Zeitalter des virtuellen Dating?


Die Freiheit — als eine schöne Kunst betrachtet?

Vor leeren Blättern saß Schiller. Nichts stand zwischen ihm und seinen Worten, als ein mechanischer Vorgang, den er vollkommen verstand. Auf meinem Bildschirm aber bilden sich die Buchstaben nur ab, sind Produkt komplexer Technik, die ich nicht verstehe. Meine Befehle werden durch geheime Codes gesteuert, die ich nicht kennen darf. Schriebe ich wieder von Hand, verstünde ich noch lange nicht, welche Teile meiner neuronalen Netzwerke dazu ihre Spannung sandten. Ich weiß nicht, was ich tue und soll mich über die Freiheit versuchen, künstlerisch sein.

So ich Willensfreiheit annehme, – gewagte Hypothese, zugegeben, aber was bleibt mir? – ist zumindest die Willensbildung frei. Ist Bedingung für Kunstschaffen der Schöpfungswille, wäre ohne Freiheit keine Kunst mehr. Dem Begriff nach nicht begrenzbar, bliebe Freiheit ohne Kunst denkbar, wüsste jedoch nicht, wie schön Sein bliebe. Die Unbestimmbarkeit machte die begrenzte Freiheit zur Unfreiheit.

Im Essay soll ich mich an der Freiheit versuchen und „eine Architektur aus Bruchstücken“ riskieren. Dies entspräche, wie heutige Baukunst, dem Dogma der Funktionalität, hätte, ohne alles Schöne, zumindest einen Zweck. ‚An’ soll ich mich versuchen lassen. Will ich geplant distanziert bleiben, müsste ich also über ihr stehen. Unfrei erreiche ich diesen Punkt gar nicht mehr. Alles Weitere ist eigentlich Unsinn, was noch nichts über dessen ästhetischen Wert sagt.

Bin ich frei dies zu tun, oder ist es gerade eine schöne Kunst, die Illusion aufrecht zu erhalten, es gäbe eine Entscheidung und der Weg zu ihr wäre Teil eines schöpferischen Prozesses?

Der durch Verlockungen bestimmte, ist nicht mehr frei. Wer den Spuren der Logik folgt, schiede hier bereits diejenigen aus, die im Bewusstsein dessen schrieben und eine Beeinflussung nicht ausschließen können.

Einsam und leer würde es in den urteilenden und anonymisierenden Amtsstuben. Einzig die Gutachter, deren Siegel den Geprüften ihre Bewusst- und Ahnungslosigkeit beglaubigt, mehrten sich. Wo einer die staatlich geprüften Freiheitsvoraussetzungen bejaht, wird es zehn andere geben, die sie verneinen, von denen sich wiederum leicht die doppelte Anzahl findet, die beide widerlegen. Entsprechend ihrer Wertigkeit werden sie von den Stubenbewohnern geordnet und zur Entscheidung herangezogen. Bei Gleichwertigkeit können schlichte Mehrheitsentscheidungen helfen, falls sich diese nicht finden, bleiben als letzte Möglichkeit noch Lose. Sie sind mit ihrem zufälligen Heilsversprechen die wahre Religion unserer Gesellschaft.

Die wissenschaftliche Freiheitsbeurteilung beschäftigte nicht nur Philosophen, Theologen und leider auch Juristen, sie zöge auch ganze Herden von Doktoranden an. Noch keine Erwähnung fanden die stillen Zuarbeiter der geistigen Eliten. Von den Hilfswissenschaftlern, über die Bibliothekare und die Bediensteten der Vervielfältigung hin zu den Wartungsfirmen, denen die Pflege der überforderten Rechner obläge. Ganz zu schweigen von den Folgeaufträgen für die Bauwirtschaft, die Ersatz für die nun permanent überfüllten Ämter schüfe.
Beschäftigung wird für viele, in wieder von Nürnberg aus geprägten Zeiten, als Grundlage von Freiheit definiert. In diesem Sinne spricht das Wohl der Mehrheit für die Teilnahme. Wenn es auch sinnlos ist, der Freiheit einen Rahmen zu geben, sozial scheint es. Betrachte ich die Freiheit einfach nur als eine schöne Kunst, fällt mir die Beschäftigung mit dem Absurden leichter. Die Frage nach dem ästhetischen Wert des Sozialen und Demokratischen verbietet sich zum Glück im engen Korsett öffentlicher Meinung. Sie gliche der, nach dem volkswirtschaftlichen Bilanzwert Behinderter. Wozu sich auch keiner mehr äußert.

Anders Schiller, der in den Briefen über die ästhetische Erziehung des Menschen noch vom objektiv Schönen in der Kunst sprechen konnte und zum politischen Mehrwert der Kunst feststellte: „In der Tat muss es Nachdenken erregen, dass man beinahe in jeder Epoche der Geschichte, wo die Künste blühen und der Geschmack regiert, die Menschheit gesunken findet und auch nicht ein einziges Beispiel aufweisen kann, dass ein hoher Grad und eine große Allgemeinheit ästhetischer Kultur bei einem Volke mit politischer Freiheit und bürgerlicher Tugend, dass schöne Sitten mit guten Sitten, und Politur des Betragens mit Wahrheit desselben Hand in Hand gegangen wäre. “

Was die von Demagogen für Mehrheiten gehaltenen Massen hinter vorgehaltenen Händen raunen, möge im Dunst stecken bleiben, der schon die Gründe ihrer Urteilsfindung verhüllt. Kaum wage ich, der ich nicht über schmidtschen Medienruhm und Schutz verfüge, noch einmal den Jubilar zu zitieren. Sein Alter gibt ihm jenseitige Unantastbarkeit, möge sie die Sittenwächter beruhigen: „In den niedern und zahlreichern Klassen stellen sich uns rohe gesetzlose Triebe dar, die sich nach aufgelöstem Band der bürgerlichen Ordnung entfesseln und mit unlenksamer Wut zu ihrer tierischen Befriedigung eilen.“

Fassungslos höre ich den Revolutionär, der mit Räubern und Flucht nach Mannheim noch für die Freiheit litt – dahingestellt, ob Mannheim allein Grund genug gäbe – sich versteckte, den großen Kant nach mehrjähriger Lektüre zu bezweifeln wagte. War er nur noch der salonfähige Dichterheld der Plattitüden, der sich im Zitateschöpfen erging? Seine Adelung, das Wesen wohl tiefer prägend als heutige Bundesverdienstkreuzung, könnte ihm, klassenimmanent, den Blick getrübt haben.

Weiterlesend wird der Reaktionär zum Nihilisten, der zwar in ständischen Vorurteilen gefangen, doch seiner sich aufgeklärt gebenden Zeit, die sich metrisch reimend in der Sinnsuche erging, weit voraus, sich zur Hoffnungslosigkeit bekennt: „Auf der andern Seite geben uns die zivilisierten Klassen den noch widrigern Anblick der Schlaffheit […], die desto mehr empört, weil die Kultur selbst ihre Quelle ist. Die Aufklärung des Verstandes, deren sich die verfeinerten Stände nicht ganz mit Unrecht rühmen, zeigt im Ganzen so wenig einen veredelnden Einfluß auf die Gesinnungen, daß sie vielmehr die Verderbnis durch Maximen befestigt. Wir verleugnen die Natur auf ihrem rechtmäßigen Felde, um auf dem moralischen ihre Tyrannei zu erfahren, und indem wir ihren Eindrücken widerstreben, nehmen wir unsre Grundsätze von ihr an.“


Das korrekte Verständnis dieser idealistischen Worte tönt es aus den Fluren der Sprachforscher, jenen mit staatlicher Deutungshoheit, lautet anders. Die Philosophen stören sich am Wirbel der Epochen und Schulen, halten den Missbrauch überkommener Begrifflichkeit für normwidrig. Die Strafbarkeit solchen Tuns wird schnell zur allgemeinen Forderung, der Juristen die Grundlage liefern: Wer ohne Diplom Hoffnungslosigkeit benennt und dabei überkommene Begrifflichkeiten vermengt, vergeht sich an der Würde des Jubilars, gefährdet den Rechtsfrieden, ist Unruhestifter erster Ordnung, der entweder öffentlicher Lächerlichkeit preisgegeben, oder der Wortlosigkeit überantwortet wird.

Was fürchterlicher ist im Angesicht der grausamen Methoden öffentlicher und privater Lächerlichkeit, scheint mir offensichtlich. Schwerer und schwerer fällt das Schweigen aber in Anbetracht der mit den Worten verbundenen Mission und ihrem wachsenden Gewicht. Wie wenig bleibt dem an Würde, der sich angesichts täglichen Irrsinns nicht mehr hörbar zur Hoffnungslosigkeit bekennen darf?

Könnte ich öffentlich nicht alles sagen, auch wenn ich mich lächerlich machte, es bestünde die Aussicht, die Hoffnungslosigkeit weiter zu verbreiten. Welch hehre Vision! Als Botschafter des Endes widme ich die Lächerlichkeitsmaschine zu einem Werkzeug der Aufklärung um. Warum soll ich länger verteufeln und flüchten, was ich doch in den Dienst der Sache stellen könnte? Das Blatt wendet sich. Natürlich bedeutet es zunächst auch Kompromisse. Ruhig und gelassen auf wiederholte dumme Fragen antworten, bei durchschnittlich drei Sendungen am Tag müsste nur knapp über tausendmal im Jahr dasselbe wiederholt werden. Lächerlich gemessen an globalen Rosenkränzen oder fernöstlicheren Mantras.

Es geht nicht um mich, sondern nur um die Sache, für die ich mich nicht dem Zeitgeist beuge, sondern ihn mir, durch innere Distanz, Untertan mache. Vielleicht, ganz streng geprüft, fände sich auch eine Spur von Eitelkeit, denn wer will nicht gefallen, aber eigentlich ist auch sie der Hoffnungslosigkeit dienlich, also letztlich gut. Ist dieses Vorurteil gegenüber der Eitelkeit nicht ein Anhängsel christlicher Gängelung? Die Mehrheit wird den steinigen Weg bereitwilliger gehen, wenn er ihr durch attraktive Repräsentanten dargeboten wird. Sie sollen sich identifizieren können mit mir als ihrem Helden des Untergangs.

Härter noch als Houllebecq in seinen Elementarteilchen oder Lem im futurologischen Kongress werde ich ihre Träume zertrümmern. Der Weg zur Freiheit führt über die Hoffnungslosigkeit, vermuten schnell die unbelehrbaren Anhänger positiven Denkens, die gerade neu neurolingual programmiert wurden und nun jede Prüfung als optimierbare Chance betrachten. Zu schnell. Erst die völlige Kapitulation vor der aussichtslosen Sinnlosigkeit allen Seins gibt in dem Moment, in dem der Schritt vom Leben zum Tod für das „Ich“ keinen Sinnverlust mehr bedeutet, einen ersten Blick auf die Freiheit. Dies aber verkünde ich euch aus meiner saddamschen Grube, in die ich mich, vor der globalen Berieselung flüchtend, verkroch und aus der ich die Welt mit meinem Unflat beriesele.

Immer wieder wird die Sinnsuche als hehrer Gralsweg mutiger Ritter auf dem Weg zum „Ich“ beschrieben. Dabei ist sie bloß ein reaktionärer Reflex derer, die im Schattenkabinett der Gruppenhöhle Führer sein wollen. Ihr Anpassungsbedürfnis ist noch immer höher als ihr Erkenntnisdruck. Einer ist so wenig frei wie der andere. Alle hängen sie ihr Sein an Komponenten außerhalb ihres Selbst, jenseits ihrer Entscheidungsbefugnisse.

Eine Gesellschaft der Hohlköpfe, die fertige Antworten als Konsumgut will, feiert sie als Helden, die ihren Traum von der erklärbaren Welt aufrechterhalten helfen. Sie sind erwünscht, so abstrus ihre Ansichten oder konstruierten Götter auch sein mögen, werden als Teil des Rechtsstaats gesehen, der sich durch die übersinnliche Inbezugnahme seiner einzig tauglichen Begründung beraubte, die Recht als auf Vertrag oder Diskurs beruhend definiert. Wer den vernünftigen Menschen voraussetzt und zur Verantwortung zieht, darf sich nicht gleichzeitig auf Hokuspokus stützen, der seinen konstitutiven Charakter nur aus seiner Tradiertheit gewinnt, sich in seinen Gründen aber von keinem anderen Aberglauben unterscheidet. Die Grausamkeit der Religionsverächter im vergangenen Jahrhundert taugt zur Rechtfertigung des Absurden im Staat nichts.

Es ist keine Kunst, sich frei zu gerieren, solange der Staat über meine Freiheit wacht, sie als Gut im Rahmen seiner beschränkten Anschauung garantiert. Langweiliges Selbstverständnis, in dem die Sinnsucher der Beschränkung bedürfen, sich noch frei zu fühlen. Hoffnungsfroh stürzten sie sich in den Kampf gegen den Terror, er gab ihrem Dasein neuen Sinn. Die folgenden Beschneidungen ihrer Freiheit bejubelten sie als Gewinn an Sicherheit. Eine Erfahrung, die das Fundament meiner Hoffnungslosigkeit so festigte, dass ich den Irrsinn dankbar betrachte. Zerstören sie doch mit ihrem Handeln jede, noch so kleine Aussicht auf Besserung.

Keiner verneinte Sinn und Kollektive konsequenter als Max Stirner, dessen Werk sogar der heilige Habermas als absurde Raserei bannte. Dass er Karl Marx, der ihn nach langen Ausführungen, doch keiner Kritik für würdig befand, zu seinem verhängnisvollen historischen Materialismus inspirierte, sollte unstrittig sein. Die Stimmen, die in Nietzsche nur noch den Plagiator Stirners sehen, mehren sich. Dass er unbekannt blieb, widerlegt die Gefährlichkeit seiner Thesen nicht. Ihm ging nichts über sich und so leitet er seinen Einzigen schon damit ein, dass er seine Sache auf Nichts gestellt habe und dass seine Sache weder das Göttliche noch das Menschliche ist, sondern „allein das Meinige“. Er definiert es, trotz aller konstruktiven Verneinung hier Kind seiner Zeit, als schöpferisches Nichts, aus dem er selbst als Schöpfer alles schaffe und ausdrücklich nicht als Nichts im Sinne der Leerheit. Die von Stirner erstrebte „Destruktion der Entfremdung“ und die mit ihr verbundene Rückkehr zur Authentizität hätte wohl die „Zerstörung der Kultur, die Rückkehr zum Tiersein“ zur Folge, ein Schritt in die richtige Richtung scheint es, einer mit dem sich die Einsamen gemeinsam machen können. Aber der Schein täuscht. Stirner blieb Ziel orientiert, wollte das „Jenseits in Uns“ überwinden, sah sich als Befreier von Jahrtausende alten religiösen Fesseln.

Es bleibt einsam, und die Aussichten auf Besserung aus dem Geist der Spaßgesellschaft sind schlecht. Gebe ich mich, des Themas wegen, dem totalen Verfall hin, lasse alle Hoffnung fahren, beende mein Leben ohne Grund, eher zufällig, nicht und werde endlich von diesem Elend völlig erdrückt, verharre ich wortlos depressiv vor der Frage, was es heißt, die Freiheit als eine schöne Kunst zu betrachten, erscheint am Horizont ein Licht: War jemals etwas etwas wert?

Es kann dahinstehen, wenn die Freiheit schon vorher verendete, alle Worte und Gedanken nur notwendige Folgen der Schwingung meines Hirns sind. Der Wolf und seine Sänger stimmen das alte Lied vom Determinismus neu an, verkünden, im Besitz vollständiger Landkarten zu sein. Sie verorten alles im elektromagnetisch verstandenen Hirn, das seiner Schuldkomplexe ledig, logischen Strukturen folgend, schaltet. Ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis wir nicht nur den Sitz überflüssig gewordener Gefühle bestimmen, sondern diese mit geringst möglichem Aufwand auch behandeln und nutzen können?

Nicht Feuilletonseiten füllende kryptische Buchstabenfolgen sind mehr aktuell, viel kleiner als die sie verbergenden Säuren sind die allumfassenden neuronalen Netzwerke und die sie verknüpfenden Synapsen. Was sie wollen, geschieht. Sie sind die zwergenhaften Vorstandsvorsitzenden unseres Seins, ohne das wir wüssten, was sie verdienen und ob sie überhaupt etwas wollen und also wir, deren wichtigste Teile sie doch sind.

Erledigt sich die Frage nach dem Bewusstsein des Neurons mit der Verortung desselben in uns, oder kann eine Spannung unser Sein zu dem machen, das dies fragt, ohne zu wissen, was es tut?

Ich weiß es nicht.

In dieser Ahnungslosigkeit höre ich, leibnizbeschwerte Schönheit aus Heidelberg andere Töne anstimmen. Wie es den Schönen entspricht, verwirrt sie die simplen Muster männlicher Logik, weist die Minne der Kartografen zurück. Sie bestreitet den einen Ort für das Eine, wie den anderen für das eben Andere. Bezweifelt Orte überhaupt. Lässt uns in der Schwebe, in der wir für diesen oder jenen Zweck anderen Halt finden müssen. Das Zusammenspiel der vielen aus je anderen Quellen brächte uns Wissen um uns.

Auch wenn sich die Beiden mit Elfen jüngst gemeinsam manifestierten, die Beschränktheit ihrer Möglichkeiten bekannten, sich auf dem Stand von Jägern und Sammlern wähnten, was die Regeln betrifft, nach denen das Gehirn arbeitet, die biblisch nachgewiesene Überlegenheit Evas in Fragen der Erkenntnissuche wird in der Gegenüberstellung deutlicher. Erklärt uns unvollständigeren XY-Trägern in Bildern, die unserem Verständnishorizont entsprechen, die Berechtigung weiblichen Führungsanspruchs im Informationszeitalter. Folgen wir dem weiblichen Vorschlag, der das Gehirn weniger bestimmt als flexibel auf neue Anforderungen reagierend begreift, sind wir vielleicht sogar auf die eine oder andere Art frei, dies zu erkennen.

Unsere Netzwerke verlieren Raum und Zeit als Konstanten. Sie sind wandelbar, anpassungsfähig und reagieren den Anforderungen entsprechend. Das Gehirn wird als intelligentes System begriffen. Der bewundernde Beobachter solcher Erkenntnisse, die das Zusammenspiel jenseits aller Imperative organisiert beschreiben, verharrt still und liefe, wider besseres Wissen, Gefahr, gläubig zu werden. Wer schöpfte mein Hirn als die kunstvollste Form der Freiheit?

Noch halten mich, jenseits der sphärischen Zusammenhänge, die entsetzliche Wirklichkeit und ihre unabsehbaren Folgen im mühsam erlernten Nichts. Doch, was bleibt vom Kern meiner Person, wenn sich alles umdeuten lässt?

Dass es keine gültigen Antworten mehr gibt, verwirrt in Zeiten, in denen nur noch Tarngesetze uns am Menschen schöpfen hindern, wenig. Die in den Elementarteilchen gefundene Vision der postsexuellen Gesellschaft verliert im Angesicht pornografischer Internetfluten jeden Schrecken. Ist sie etwas anderes als die technische Umsetzung eines mühsam erreichten Karmazustandes?

Mit dem Verlust des kleinen Todes gebe ich das ursprünglichste Ziel auf. Sein oder Nichtsein unterscheidet sich nur noch funktional, nicht mehr inhaltlich. Die Hoffnung verliert ihren letzten Sinn.

Das Ziel in begreifbarer Nähe weiß ich noch immer nichts über die Freiheit. Zufrieden lehne ich mich zurück, wie gut, es bleibt hoffnungslos. Was ist da noch Schönheit? Dass ich mir jenseits aller Dogmen in unserem Seinssupermarkt die Freiheit nehmen kann, die mir gefällt? Ein postsexueller Orgasmus?

jens tuengerthal, Berlin 2005

Sonntag, 19. Mai 2013

Freiheitsliebe oder freie Liebe

Macht die Liebe bescheuert oder ist das ihre Freiheit

Heute brach nach wunderbaren Maitagen überraschend wieder die Kälte in Berlin ein. Es regnete viel, der feuchte Boden trocknete kaum zwischendurch. Die Freiheit der gestrigen Nacht als wir bis 3h oder länger ohne Jacken vor den Cafés saßen, war verschwunden, die Kragen wurden hochgeschlagen.

Natürlich konnten wir nun so frei sein, es uns lesend innen gemütlich zu machen, schönen Tee trinken und den Tropfen beim Fallen lauschen. Ohnehin gibt es ja kein schlechtes Wetter sondern, wie uns Camper und andere Outdoor-Freunde, die eben lieber vor der Tür als in ihren möglicherweise spärlichen Bibliotheken sind, nur die falsche Kleidung für das immer richtige Wetter.

Wir haben zwar nicht die Freiheit uns auf eine Bank in die Sonne zu setzen aber dafür kommen wir auch nicht so leicht ins Schwitzen, so gesehen haben wir nichts von unserer Freiheit verloren, nur weil sich das Wetter eben mal ändert. Im übrigen gibt es wenig langweiligeres als das Wetter, das nun mal ist, wie es ist, spannender ist, welche Haltung wir dazu einnehmen und wie wir diese begründen.

Gestern war ein wunderbar warmer, himmelblauer Tag einfach zum verlieben. Männlein und Weiblein vor den Cafés war in Flirtlaune, gut aufgelegt, zeigte voller Lust viel von sich und freute sich am gesehen werden. Es rief der Tag nach Berührungen und Zärtlichkeiten, wie sie der warmen Luft unter dem Mond entsprachen - dabei wären wir alle in der heutigen Kälte vermutlich viel bedürftiger nach Nähe und Zärtlichkeit, dennoch ziehen wir uns zurück, schauen etwas grimmiger, ob des Wetters und lassen uns die Liebeslaune seltsam vom Wetter bestimmen.

Wie frei sind wir zu lieben?

Hängt unsere Bereitschaft zur Hingabe an Gefühle und das Glück der Liebe also auch am Wetter oder ist unser Hirn insoweit autonom, dass es nur auf unsere Haltung dazu ankommt, könnten wir uns auch im Regen unter einem Schirm verlieben, fragt ich mich und überlege, ob mich das Wetter emotional je an etwas gehindert hätte.

Vielleicht ist es ja auch die Jahreszeit die uns gerade dazu prädestiniert uns bereitwilliger zu verlieben, sind wir also einfach Kinder der Natur, folgen wie die Tiere deren Ruf zur Paarung, nachdem das Eis gebrochen ist?

Sind wir also frei uns zu verlieben oder ist es eher so,  dass wir uns so frei fühlen und uns darum verlieben und was hat die Freiheit überhaupt mit der Liebe zu tun?

Es scheint einen Zusammenhang zwischen Freiheit und Liebe zu geben. Offensichtlich verlieben wir uns leichter und lieber, wenn wir uns frei fühlen.

Obigen Wetterzusammenhang könnte ich leicht widerlegen, wenn ich darüber nachdenke,  zu welcher Jahreszeit meine längsten Beziehungen begonnen haben, wann ich am ehesten jemanden kennenlernte. Was Beziehung nun mit verlieben zu tun hat zu erörtern führte hier noch zu weit, viele sehen es temporal kausal.

Manche Menschen suchen für Antworten in solchen Fragen noch Rat bei den Sternen, was allerdings in doppeltem Sinne absurd scheint, weshalb hier völlig von diesen abergläubischen Wirrlehren abgesehen werden soll.

Zum einen ist es zwar unstrittig, dass die Konstellation aller Dinge zusammenhängt und so wie der kleine Mond schon Ebbe und Flut verursacht, der Schmetterlingsflügelschlag in Australien unser Wetter verändert. So haben die Bewegungen des Universumst, die Stellung der Planeten und Sonnensysteme sicher auch Einfluss auf uns, aber keiner weiß wie weit und wann - ob ein schwefliger Sonnenfurz im eigenen System hier mehr Auswirkungen hat als ein schwarzes Loch im benachbarten Sonnensystem oder ein interstellarer Wind oder einer der Zeitstrudel die sich Stanislaw Lem so wunderbar für den Astronauten Ijon Tichy erdachte.

Alles hat Einfluss aufeinander und die vermeintlich früher für wissenschaftlich gehaltenen Lehren des Logos hinter den Sternen, wählen nur einen winzigen uns einmal bekannten Ausschnitt um zu beschreiben von was wir nahezu nichts wissen können.

Es mag also sein, dass uns die Sterne bei der Liebe bestimmen, wie der Mond oder die interstellaren Blähungen unseres Heimatsterns aber solange wir nur über Mutmaßungen und Glaubenssätzen zu Aussagen kommen, sollten wir dies Hindernis auf dem Weg der Erkenntnis lieber vergessen, es klärt nicht auf, sondern ist eher eine Nebelmaschine, die den faulen Geist in schlichte Gewissheiten einlullt, die, dächte er nach, unter seiner Würde wohl wären.

Zum anderen, aber viel entscheidender und das führt uns zum Thema dieses gedanklichen Ausflugs zurück, wäre es ein absurder Vorgang eine Prädestinationslehre zweifelhafter Glaubwürdigkeit für ein notwendig freies Handeln verantwortlich zu machen.

Etwas weniger abstrakt formuliert, wenn ich mich verliebe, weil die Sterne so stehen, verliebe ich mich nicht sondern werde verliebt, dann entscheide ich mich nicht für den oder die andere, sondern werde quasi, ohne alle Freiheit, im natürlichen Zusammenhang verkuppelt und entschieden.

Manche Menschen leben auch heute noch in dem Glauben ihr Leben sei vorherbestimmt und sie führten nur aus, was höhere Wesen oder Zusammenhänge längst für sie entschieden, die Willensfreiheit sei eine Illusion und der Mensch funktioniere einfach in den Bahnen, in denen er durch höheren oder natürlichen Zusammenhang steht.

Diese Menschen verlieben sich also, wenn sie es tun und auf das, was sie dann tun überhaupt das Wort Liebe passt, nicht in einen anderen weil sie es wollen, sondern weil sie es sollen.

Jene nach der Aufklärung und im Zeitalter des Materialismus auf eine kleine etwas eigentümliche Randgruppe geschrumpfte Gemeinschaft von Gläubigen, hat durch die neuen Prädestinationslehren, die Teile der Neurologie vertreten, wieder mehr Zulauf erhalten.

Danach entschiede der Mensch nicht, was er tut, sondern werde von vorbestimmten Konstellationen seiner neuronalen Strukturen zu diesem oder jenem Handeln bestimmt. Der freie Wille sei eine Illusion, die uns unsere beschränkte Erkenntnisfähigkeit vorgauckelte als wir noch nicht wussten, was uns diese neuronale Heilslehre nun offenbart, dass wir einfach funktionieren, so schlicht logisch wie die Rechner, die sie zur Berechnung und Messung ihrer dies begründenden Thesen benutzen.

Wer hier einen gewissen Zirkelschluss vermutet oder sieht, könnte hinter die Kulissen der Warheitsverkünder schauen und vielleicht schon den Schlüssel in der Hand halten der uns eine Antwort auf die Frage gibt, wie frei wir zu lieben sind. Mehr logischen Gehalt als die ursprünglichen Prädestinationslehren hat nämlich auch diese sich auf wissenschaftliche Erkenntnisse berufende Sicht nicht, da auch sie nur systemimmanent urteilt in dem System, dass sie meint beurteilen zu können, ihre eigene Beschränkung verkennt, auf der sie die Axiome ihres Denkens aufbaut. Aber sie kann ja, wie die meisten irgendwie Vorherbestimmten nicht anders.

An dieser Stelle kann die Frage der heutigen Relevanz dieser historisch immer wieder bekannten Wahrheitsbesitzer und ihrer sicheren Anschauung von den Dingen gestellt werden und dabei dankbar an Platons Höhlengleichnis gedacht werden in einer etwas konstruktivistischen Auslegung.

Ob es wirklich unser Willen ist, dass wir uns verlieben oder nur ein Produkt hormoneller Bestimmungen, wie die biochemischen Prädestinationslehrer gern zum Besten geben, der Wille gar keiner ist, sondern nur Produkt berechenbarer neuronaler Reaktionen, wie es die andere Fraktion der Forscher für sich in Anspruch nimmt, kann dahinstehen,  sofern es nichts gibt, was unseren Eindruck vom Leben widerlegen kann, wir führten es und wir uns glaubhaft danach richten können.

Vor allem könnte es in der Frage der Liebe und der für sie notwendigen Freiheit entscheidend auf unser Gefühl für sie ankommen, was nun die Welten vom bewusstem Willen und triebhafter Steuerung in ein schwer entwirrbares Chaos verwickeln.

Hier schalten sich dann die anderen großen Räuber der Freiheit in der Gegenwart ein, die Psychologen, die sich über das erdachte Unterbewusste und die mit ihm verbundenen Heilslehren, noch dazu auf einer vermeintlich wissenschaftlich logischen Grundlage, fern aller Freiheit zu den Nachfolgern der Kirchen im Bereich der geistigen Freiheitsberaubung machten.

Diese Seelenheiler, die nicht mal logisch erklären können, was die ominöse Seele materiell sei und warum es einen Raum in uns geben sollte, zu dem nur sie einen methodischen Schlüssel der Heilung, Analyse oder doch zumindest Diagnose hätten. Die damit eine therapeutische Macht aus dem Reicht der Phantasie begründeten, das den freien Willen zum Treppenwitz der Geschichte machte.

Dass sie sich infolge um so intensiver mit der Liebe, ihren Ursachen und ihrem Zusammenhang mit den Trieben beschäftigten, ist machtpolitisch logisch und letztlich konsequent. Wie sie es taten war es leider auch, weshalb eine weitere Betrachtung dieser sogenannten Lehren auch mehr Verwirrung als Aufklärung stiftete.

Wir sind so frei uns zu verlieben, wenn uns danach ist und auch die absurdesten Gläubigen der Prädestination seien sie nun Wissenschaftler, Psychologen oder irgendwie Theologen, welcher Glaubensrichtung auch immer, bestreiten nicht, dass es um ein Wollen geht - des anderen, des persönlichen Glücks, der Forpflanzung, der Sicherheit - auch wenn sie den Willen oder seine Entstehung leugnen.

Wer nicht mehr will,  kann, soweit heute zum Glück auch unstrittig, nicht zur Liebe gezwungen werden, weil ein Wollen des Gefühls uns absurd erscheint. Auch wenn es immer wieder gerade im Eltern-Großeltern-Kind-Verhältnis dabei zu seltsamen Varianten kommt, die weniger mit der Freiheit der Liebe als der konventionellen Erwarung zu tun hat.

Liegt die Kunst in der Beschränkung?

Gern vom Volksmund zitiert und in spirituell oder sonst geistig geschwächten Kreisen angeführt, wird die Weisheit, dass Lieben loslassen hieße. Auch wenn es uns so nichts sagt, was losgelassen werden soll, wie weit und wohin, schimmert durch diese Phrase doch auch der Zusammenhang von Freiheit und Liebe, wie er hier untersucht werden soll, die Idee hat sich also offensichtlich sogar bis in schlimmstenfalls spirituell angehauchte Kreise durchgesetzt auch ohne alle Vernunft, wenn wie so oft “nur aus dem Bauch” gesprochen wird und es doch immer nur “auf das Herz ankäme”.

In diesem Kontext wird auch gern gesagt: “Kind, die Liebe lässt sich nicht erzwingen.”

Warum eigentlich nicht, etwa in der staatlich geförderten Ehe, die gewünscht ist als Garantie für Konstanz oder gegenüber den Kindern mit Sanktionen gegen ihre Liebespflicht verletzende Eltern?

Stattdessen sanktionieren wir den kleinen Klaps und jede Form physischer Gewalt, lassen aber den viel gravierenderen Liebesmangel, der Kinderleben erst grausam macht und viel zu viele Kinder in Drogensucht und andere psychische Deformationen trieb, ihnen die Lebenslust raubte. Aber trotz dieser Katastrophen sind wir uns ganz sicher, Liebe lässt sich nicht erzwingen und alle Versuche sind zum Scheitern verurteilt.

Loslassen und nicht erzwingbar sind also zwei konstitutive Merkmale der Liebe, wie sie durch alle Schichten der Bevölkerung auch unabhängig von der Bildung anerkannt werden.

Interessant ist dazu die Anekdote aus dem Bürgerlichen Gesetzbuch, nach der, der Vollzug der Ehe, also der eheliche Beischlaf oder anders genannt auch der Vollzug der Liebe einklagbar waren, wurde zwar neuerdings als absurd abgeschafft, da der einklagbare Anspruch nie durchsetzbar war, da es keine staatliche Stelle gab, die den friedensstiftenden Beischlaf beobachten und beurteilen konnte, ob damit dem ehelichen Frieden genüge getan wurde.

Vollzug der Ehe und Vollzug der Liebe, erzwingbare Handlungen und Rechte aufeinander wie Ansprüche gegeneinander sind der staatliche Rahmen der gewohnten Zweierbeziehungen, die den Begriff der Liebe ad absurdum führen, im scharfen Gegensatz zu ihm stehen. Die nun auch anekdotische Diskussion über die Bestrafung der Vergewaltigung in der Ehe ist ein weiteres Beispiel dafür wie fern der Liebe die formale statlich anerkannte Beziehung ist und welches Wunder es demnach sein müsste, wenn die Liebe sogar das überlebt.

Eigentlich wissen wir das, dennoch heiraten die Menschen und tun es nicht einmal aus finanziellen Gründen, im Gegenteil, sicher auch aus Konvention aber in den meisten Fällen wird heute als Grund die Liebe angeführt.

Eine Form der rechtlichen Freiheitsberaubung scheint erstrebenswert für die große Liebe, um sie zu sichern - wo darin Beschränkung im Sinne der edlen persönlichen Zurücknahme liegen soll, ist insoweit nicht ersichtlich. Spannend wird es sein, dem auf den Grund zu gehen, um sich der freien Liebe oder der Freiheitsliebe anzunähern.

Sichtbar ist der ganze Bereich von absurden Gewohnheiten und unerklärlichen Dingen besetzt, die dem normalen Verstand Hohn zu sprechen scheinen.

Macht die Liebe blöd?

War also die naheliegende Frage am Ende dieser Betrachtung der Liebe im Frühling und ihrer Auswirkungen und es fiele schwer, sie klar zu verneinen.

Sie verengt den Horizont, lässt uns einen Menschen für den oder die Schönste unter allen halten, dies zumindest gerne behaupten, gibt uns das Gefühl von Einmaligkeit, wie wir es mit Milliarden von verliebten Menschen um den Globus teilen, lässt uns sonst unerträgliches ertragen, treibt viele Menschen in Verzweiflung, hemmt ihre Leistungsfähigkeit und lenkt sie ab.

Gerüchteweise soll sie auch beflügeln und kreative Energie freisetzen. Die Betroffenen zu ungeahnten Höhen führen aber all dies immer nur im Kontext mit dem Vollzug der Liebe oder dem Weg dahin, der ja mit dem Wollen, über das sich alle einig sind, nur bedingt zu tun hat, sondern näher an dem natürlichen Triebwesen steht,  das sich fortpflanzen will, danach strebt, seine Gene in die Welt zu werfen.

Wenn der Wille eine Illusion wäre, die Fortpflanzung das eigentliche Ziel dieses auch biochemischen Prozesses noch bliebe, stellte sich die Frage, warum sich in der Evolution diese Illusion erhalten und weltweit durchgesetzt hat.

Sie macht offensichtlich blöd, die gesteigerten Fähigkeiten sind scheinbar nur auf ein Ziel gerichtet, dessen Erreichung ohne den emotionalen Aufwand vermutlich leichter wäre.

Es gibt viel, was gegen die Liebe als Mittel der Fortpflanzung spricht und der moralische Umgang der Menschen damit durch die Jahrhunderte kündet nicht gerade vom Gegenteil. Dazu kommt noch, dass sie womöglich die effektiven Kriterien bei der Auswahl eines Partners zur Begattung emotional völlig überlagert, wir nicht genetisch sinnvoll und evolutionär klug wählen, sondern nur aus dem Bauch aufgrund einer überkomplexen Reihe von Ursachen, die wir nicht verstehen.

Dennoch meinen wir, sie fühlt sich schön an, halten sie für das Größte, was uns passieren kann, auch unabhängig vom Ziel der Fortpflanzung und halten an der dafür gehaltenen Liebe oft auch nach Ende der Paarungszeit fest, idealisieren diese sogenannte ewige Liebe sogar als das Höchste.

Finden wir, was blöd macht, der Logik der Evolution widerspricht, keinen sichtbaren Zweck verfolgt nur darum gut, weil es zu nichts nutze ist?

Welche Folgen hätte es für die Weltwirtschaft, wenn sich diese Erkenntnis zum Streben nach Glück durchsetzt?

Die Liebe scheint völlig unnütz in jeder Hinsicht von  evolutionärer Effektivität, trotzdem wollen wir sie unbedingt behalten, hielten gar ein Leben ohne für unmenschlich.

Sind wir bescheuert oder ist das eben unsere Freiheit nur wollen zu können auch wenn es nutzlos ist?
jt 19.5.13

Freitag, 17. Mai 2013

Selbstmord auf Raten


Selbstmord auf Raten
Oder wie die Demokratie ihr Leben verkauft

Wege aus dem Leben

Tumorpatienten langsam sterben sehen und nicht helfen zu können, gehört zu den grausamsten Erfahrungen meines Lebens. Nur ein wenig pflegen, kontrollieren, dass die Medikamente noch auf ärztliche Anordnung die Waage halten zwischen so bewusst wie möglich und so schmerzfrei wie nötig.

Tageweise wachsen die Schmerzen der Patienten vor ihrem Ende, mit klinischer Sauberkeit werden sie präfinal genannt, während sie im Zauberberg, wo der junge Hans Castorp ähnliches erleben durfte, wie ich im etwa gleichen Alter als Pfleger, noch Moribundus hießen, sterbend waren, was den Vorgang des Totgeweihtseins noch stärker betont als dies präfinal, was gleiches meint, aber eben mit dem Wort Finale doch stärker ein irgendwie Endspiel betont, absurde Hoffnung hegt, nicht sagt, worum es geht.

Das Sterben, den Tod, das Ende, nach dem nichts mehr ist von dem wir wissen können, auch wenn es manche gerne anders glauben. An sich nichts schlimmes, sondern für die so eben Totgeweihten eine sichere Aussicht auf ein Ende aller Schmerzen, aller Sorgen, des nicht mehr Seins. Ansonsten geht der Tod uns solange wir sind, wie Lukrez richtig sagte, nichts an, denn solange wir sind, ist er nicht da und wenn wir nicht mehr sind, ist es für uns irrelevant, wir sind ja nicht mehr. Über den Übergang sagt das nichts aber selbstsicher sein macht zumindest erfolgreich.

Für die Kranken kann es aus dieser Sicht nur darum gehen, das Leiden so sehr wie möglich zu minimieren, denn, dass es endet, ist klar, leiden wir also so wenig wie möglich an dem Sein, was uns noch bleibt. Wie weit dabei durch Verringerung der Schmerzen der Tod notwendig beschleunigt wird, ob dies sein darf, wenn wir nicht wissen, was die Kranken wollen würden, wären sie klaren Geistes, stellt die Frage nach der Zulässigkeit des Selbstmordes.

Schon das Wort trägt die sittliche Wertung unserer Kultur in sich, in der dieser freiwillige Abschied von der Welt nichts Ehrenvolles oder Gutes hat, sondern im höchsten Maße verpönt ist. Ein Mörder ist, wie unser Bundesverfassungsgericht es im Zusammenhang mit der Zulässigkeit der lebenslangen Freiheitsstrafe sagte, immer einer, der einen anderen aus auch niedrigen Beweggründen tötet, eine besonders verwerfliche Gesinnung zeigt. Der totgeweihte Mensch, der sich selbst richtet oder mit kaum legaler Fremder Hilfe, sich richten lässt, wird auch Mörder genannt, der freiwillige Abschied damit zur verwerflichen Tat im Sinne christlicher Ideologie.

Das könnte uns nun nachdenklich über unser System und die Gründe unseres Strafens machen. Klinisch sauberer nennen wir diejenigen, die sich selbst töten darum heute auch lateinisch Suizidenten - am deutschen Wort und der Haltung ändert es nichts unser Verhältnis zur Selbsttötung ist kein entspanntes, sicher auch historisch bedingt. Um so erstaunlicher ist es, wie wir den Selbstmord unser Republik teilnahmslos begleiten.


Postdemokratie als verfasster Republikmord

Das Wort der Postdemokratie zieht seine Runde durch den Blätterwald im Schatten der neuen Biographien der Kanzlerin, die als eine der Ikonen des postdemokratischen Staates gilt.

Was heißt das für uns und wie gelassen sollten wir mit diesem kleinen post- vor unserer Demokratie umgehen, erinnert es doch an frühere Zeiten, gelbe Briefkästen und anderes oder jüngere Generationen an das, was sie in ihren sozialen Netzwerken senden, womit sie sich publizieren oder zumindest darstellen wollen?

Im Lateinischen meint das Praefix post- schlicht nach - wenn wir im postdemokratischen Zeitalter lebten, hätten wir die Demokratie, die Churchill schon für schlecht hielt, nur mangels besserer Alternative für die notwendig beste hielt - welch sehr englisches Bekenntnis - schon hinter uns, bewegten sich auf einer anderen Ebene.

Postdemokratisch ist ein politisches System, in dem es nicht auf die Beteiligung der Bürger, sondern nur auf Ergebnisse ankommt, die dem sogenannten Allgemeinwohl dienen und dem Kriterium der Verteilungsgerechtigkeit genügen, diese Outputorientierung achtet darauf, was am Ende rauskommt, nicht wie es dazu kam.

Den demokratischen Verfahren wird dabei nur noch instrumentelle Bedeutung zugebilligt. Sie sind nützlich, wenn und insofern Mehrheitsentscheidungen oder demokratisch kontrollierte hierarchische Entscheidungen eine allgemeinwohlorientierte Politik hervorbringen.

Im strengen Gegensatz zur Pluralismustheorie wird dabei angenommen, dass Allgemeinwohl objektiv bestimmbar sei und Interessenkonflikte nicht demokratischen gelöst, sondern durch Verwaltungsvorgänge aufgehoben werden, wie wir es in der merkelschen Krisenpolitik beispielhaft beobachten konnten.

Die Verantwortung wird dabei von den gewählten Repräsentanten auf Experten, Kommissionen und Wirtschaftsunternehmen verlagert. Der Bürger wird nicht mehr als der Souverän betrachtet, von dem die Macht kommt, in dessen Auftrag entschieden werden muss, sondern als derjenige betreut, der befähigt werden muss, den vorgegebenen Anforderungen des Allgemeinwohls, also den Bedingungen des globalen Marktes, gerecht zu werden.

Es geht nicht mehr um politische Verantwortung, sondern professionelles Expertentum. Repräsentanten sind damit nicht mehr für politische Prozesse verantwortlich, sondern können ihre Amtslast bei den Experten abladen, die sich wiederum vor niemandem demokratisch rechtfertigen müssen.

Rücktritte bei einem immer möglichen Scheitern sind nicht mehr nötig, da ja nicht der verantwortliche Politiker scheiterte, sondern die zuständigen Experten, die, soweit möglich, einfach verlagert und ausgetauscht werden, ohne dass sie je für ihr Handeln vom früheren Souverän zur Verantwortung gezogen werden könnten.

Um aus der grauen Theorie mal wieder in die bunte Praxis einzutauchen, die uns der Beispiele genug bietet, sei für das Prinzip Deantwortung zunächst an den BER Flughafen in Berlin, die Elphilarmonie oder den Stuttgarter Untergrundbahnhof gedacht.

Bei letzterem wurde die verantwortliche Regierung zwar in einem kurzen letzten Aufstand des Souveräns abgwählt, aber auch die nun regierende vorherige Opposition musste sich den Sachzwängen beugen und dem dann erklärten Willen der nicht betroffenen Mehrheit der Bevölkerung. Beim Berliner Flughafen rotierten die Ämter untereinander, wurden neue Experten eingesetzt, in ihren Möglichkeiten wieder beschnitten und es stellt sich dem Beobachter nur die Frage, wohin es gehen soll, da keiner an einer zügigen und effektiven Fertigstellung noch interessiert zu sein scheint. Es wird regiert, offiziell geprüft, in Unterausschüsse weitergeleitet und dank der Komplexität des Themas kann sich keiner mehr ein Bild von Verantwortung und ihrer strukturellen Verlagerung machen. Der alternative Personalmangel jeweils regierender Fraktionen macht auch die Parlamente zahnlos und stumm, die Bürger können es nicht mehr hören und beschäftigen sich lieber mit ihrem Überleben als, dass der regierenden Postdemokraten infrage zu stellen.

Noch deutlicher zeigen sich die Merkmale des postdemokratischen Regierungsstils bei der Kanzlerin, die ihr wenn überhaupt Handeln alternativlos nennt oder eben den Gutachten ihrer Experten, wie dem Chefvolkswirt der Deutschen Bank folgt. Gerne berät sie sich auch im Zirkel ihrer Freundinnen, die über Erbschaften an die Spitze der größten deutschen Medienhäuser rückten und die Meinung in der Breite durch ihre Sender und Blätter massiv mitbestimmen.

Ähnliche Entwicklungen der Entdemokratisierung des politischen Einflusses und der Machtübernahme durch Medien oder deren Besitzer können wir auch bei unseren europäischen Nachbarn beobachten. Der Name Berlusconi steht hier für viele.

Der britische Politikwissenschaftler Colin Crouch hat die idealtypische Postdemokratie folgendermaßen definiert:

„ein Gemeinwesen, in dem zwar nach wie vor Wahlen abgehalten werden [...], in dem allerdings konkurrierende Teams professioneller PR-Experten die öffentliche Debatte während der Wahlkämpfe so stark kontrollieren, dass sie zu einem reinen Spektakel verkommt, bei dem man nur über eine Reihe von Problemen diskutiert, die die Experten zuvor ausgewählt haben“

Ganz im Gegensatz dazu setzt seine Definition der Demokratie „voraus, dass sich eine sehr große Zahl von Menschen lebhaft an ernsthaften politischen Debatten und an der Gestaltung der politischen Agenda beteiligt und nicht allein passiv auf Meinungsumfragen antwortet; dass diese Menschen ein gewisses Maß an politischem Sachverstand mitbringen und sie sich mit den daraus folgenden politischen Ereignissen und Problemen beschäftigen.”

Bei Stuttgart 21 war ein wenig davon lokal beschränkt und medial von grünen Gewissenskriegern benutzt, noch zu erkennen in diesem Land. Ansonsten sind wir zu Konsumenten im eben Freizeitpark verkommen, die unterhalten werden wollen und sich vom Politischen eher belästigt fühlen, besonders, wo es parteipolitisch auftritt. Dabei stellt sich konsequent die Frage, ob für dieses Desinteresse der entmündigte Souverän selbst die Verantwortung trägt oder die diesen Prozess in ihrem Sinne begleitenden Parteien, die sich mit den Trägern des Systems politisch und finanziell gut arrangiert haben.

Eine der zentralen Thesen von Colin Crouch ist, dass in den heutigen Demokratien der Einfluss privilegierter Eliten immer mehr zunimmt. Zu diesen zählt er vor allem Unternehmer, die durch Lobbyismus wesentlich größeren Einfluss auf die Regierungen haben als andere Interessengruppen oder Nichtregierungsorganisationen.

Auch deswegen verfolgten die Regierungen seit den 1980er Jahren eine neoliberale Politik, die die Privatisierung fördert und den Bürgern mehr Selbstverantwortung aufbürdet, statt sie zu schützen und so gilt, dass je mehr sich der Staat aus der Fürsorge für das Leben der normalen Menschen zurückzieht und zulässt, dass diese in politische Apathie versinken, desto leichter können Wirtschaftsverbände ihn zu einem Selbstbedienungsladen machen. In der Unfähigkeit, dies zu erkennen, liegt nach Crouch eben die fundamentale Naivität des neoliberalen Denkens.

Wie Idioten sind deutsche Regierungsparteien von links nach rechts auf den rasenden Zug der Liberalisierung aufgesprungen, haben ihren Sozialstaat gemeinsam mit den Bundesunternehmen und den kommunalen Betrieben in den Königspalast der Gegenwart getragen und eben dort, an der Börse, veräußert. Sozialdemokraten legten die gesetzlichen Grundlagen des großen Ausverkaufs und Liberale und Christdemokraten befeuerten dies mit Freude weiter. Versuche der Umkehr gelten als realitätsfremd und so hangeln wir uns perspektivlos am Abgrund sterbend entlang. Die Demokratie existiert in diesem Land nahezu nur noch nominell.

Wir haben Grundrechte, die von den Vätern und Müttern der Verfassung als unverbrüchlich geschützt wurden, die einklagbar wären, würde jemand merken, dass hier von den Vertetern des Souveräns dieser ausgehebelt wird und seiner Rechte beraubt, die Demokratie von den Experten längst zur Sterbehilfe zur Seite gebracht wurde und sich auf gelegentlich Happenings beschränkt, in denen der Souverän medial gelenkt zu wählen hat, was ihn weiterlenken will. Es ist ja nur zu seinem Besten.

Die postdemokratische Absetzung der Regierungen in Italien und Griechenland, die Verzögerung der Regierungsbildung, bis dem Hauptgläubiger gemäße Konstellationen zur Fortsetzung der weitgehend neoliberalen Politik unter dem Diktat der Banken eingesetzt waren, ist erschütternd. Erstaunlich ist, wie weit die Bürger sich bereits durch die normative Kraft sogenannter Sachzwänge, die als galoppierende Schulden im Zinsenroulette gerne als Trumpfkarte gespielt werden, entmündigen ließen - die ersten Demokraten Europas haben sie sich von der Ökonomie und den geglaubten Sachzwängen aus der Hand nehmen lassen.


Ende der Politik oder Sterbehilfe mit Würde

Was bleibt uns in unseren real postdemokratischen Republiken noch zu tun, als eine schöne Beerdigung der der republikanischen Idee zu organisieren, möglichst zügig, da der Markt und seine Zwänge uns wenig Zeit zum Vertrödeln geben.

Vielleicht sollten wir erkennen, dass in diesem Stadium, wie bei den prafinalen Tumorpatienten am Anfang der Selbstmord nicht mehr ehrenrührig ist, sondern nur ein erlösender Sprung auf der Zeitachse festgelegter Abläufe.


Der Bürger als Souverän ist bereits verstorben. Er gab seine Macht an die postdemokratischen Politiker, die ihm dafür den Freizeitpark mit neoliberalen Prinzipien schenkten, was die Bürger beschäftigt hält.

Die parlamentarische Republik ist so gut wie tot, höchstens noch präfinal und Sterbehilfe schiene ein erlösender Gnadenakt, wäre sie legal - aber wie bei den Tumorpatienten wird sich auch in der Demokratie keiner trauen so schnell das Kind beim Namen zu nennen und die Demokratie den Lobbygruppen zu überschreiben, deren Namen sie abwechselnd trüge - etwa Daimler oder Siemens oder SAP Postrepublik Deutschland.

Es ginge dann im Staat zu wie im Privatvernsehen oder in den Fußballstadien, die inzwischen zu Zahnpastaarenen oder Versicherungsstadien verkamen. Fraglich nur, ob überhaupt jemand den Unterschied merkte, wenn die noch spaßeshalber sogenannten Volksverteter künftig ihren Eid auf Deutsche Bank und BDI leisteten.

Andernfalls wäre es nun fünf nach zwölf für das Volk, sich zu erheben, um wieder Souverän zu werden, doch da der Autor um den Verlust von Sponsoringverträgen fürchtet, zumindest als Idee, sich auch nichts leisten kann, wird er sich hüten, dazu aufzurufen, dass es jemand begreift, scheint schon zweifelhaft genug in der gut unterhaltenen postdemokratischen Gesellschaft.
jt 17.5.13