Sonntag, 19. Mai 2013

Freiheitsliebe oder freie Liebe

Macht die Liebe bescheuert oder ist das ihre Freiheit

Heute brach nach wunderbaren Maitagen überraschend wieder die Kälte in Berlin ein. Es regnete viel, der feuchte Boden trocknete kaum zwischendurch. Die Freiheit der gestrigen Nacht als wir bis 3h oder länger ohne Jacken vor den Cafés saßen, war verschwunden, die Kragen wurden hochgeschlagen.

Natürlich konnten wir nun so frei sein, es uns lesend innen gemütlich zu machen, schönen Tee trinken und den Tropfen beim Fallen lauschen. Ohnehin gibt es ja kein schlechtes Wetter sondern, wie uns Camper und andere Outdoor-Freunde, die eben lieber vor der Tür als in ihren möglicherweise spärlichen Bibliotheken sind, nur die falsche Kleidung für das immer richtige Wetter.

Wir haben zwar nicht die Freiheit uns auf eine Bank in die Sonne zu setzen aber dafür kommen wir auch nicht so leicht ins Schwitzen, so gesehen haben wir nichts von unserer Freiheit verloren, nur weil sich das Wetter eben mal ändert. Im übrigen gibt es wenig langweiligeres als das Wetter, das nun mal ist, wie es ist, spannender ist, welche Haltung wir dazu einnehmen und wie wir diese begründen.

Gestern war ein wunderbar warmer, himmelblauer Tag einfach zum verlieben. Männlein und Weiblein vor den Cafés war in Flirtlaune, gut aufgelegt, zeigte voller Lust viel von sich und freute sich am gesehen werden. Es rief der Tag nach Berührungen und Zärtlichkeiten, wie sie der warmen Luft unter dem Mond entsprachen - dabei wären wir alle in der heutigen Kälte vermutlich viel bedürftiger nach Nähe und Zärtlichkeit, dennoch ziehen wir uns zurück, schauen etwas grimmiger, ob des Wetters und lassen uns die Liebeslaune seltsam vom Wetter bestimmen.

Wie frei sind wir zu lieben?

Hängt unsere Bereitschaft zur Hingabe an Gefühle und das Glück der Liebe also auch am Wetter oder ist unser Hirn insoweit autonom, dass es nur auf unsere Haltung dazu ankommt, könnten wir uns auch im Regen unter einem Schirm verlieben, fragt ich mich und überlege, ob mich das Wetter emotional je an etwas gehindert hätte.

Vielleicht ist es ja auch die Jahreszeit die uns gerade dazu prädestiniert uns bereitwilliger zu verlieben, sind wir also einfach Kinder der Natur, folgen wie die Tiere deren Ruf zur Paarung, nachdem das Eis gebrochen ist?

Sind wir also frei uns zu verlieben oder ist es eher so,  dass wir uns so frei fühlen und uns darum verlieben und was hat die Freiheit überhaupt mit der Liebe zu tun?

Es scheint einen Zusammenhang zwischen Freiheit und Liebe zu geben. Offensichtlich verlieben wir uns leichter und lieber, wenn wir uns frei fühlen.

Obigen Wetterzusammenhang könnte ich leicht widerlegen, wenn ich darüber nachdenke,  zu welcher Jahreszeit meine längsten Beziehungen begonnen haben, wann ich am ehesten jemanden kennenlernte. Was Beziehung nun mit verlieben zu tun hat zu erörtern führte hier noch zu weit, viele sehen es temporal kausal.

Manche Menschen suchen für Antworten in solchen Fragen noch Rat bei den Sternen, was allerdings in doppeltem Sinne absurd scheint, weshalb hier völlig von diesen abergläubischen Wirrlehren abgesehen werden soll.

Zum einen ist es zwar unstrittig, dass die Konstellation aller Dinge zusammenhängt und so wie der kleine Mond schon Ebbe und Flut verursacht, der Schmetterlingsflügelschlag in Australien unser Wetter verändert. So haben die Bewegungen des Universumst, die Stellung der Planeten und Sonnensysteme sicher auch Einfluss auf uns, aber keiner weiß wie weit und wann - ob ein schwefliger Sonnenfurz im eigenen System hier mehr Auswirkungen hat als ein schwarzes Loch im benachbarten Sonnensystem oder ein interstellarer Wind oder einer der Zeitstrudel die sich Stanislaw Lem so wunderbar für den Astronauten Ijon Tichy erdachte.

Alles hat Einfluss aufeinander und die vermeintlich früher für wissenschaftlich gehaltenen Lehren des Logos hinter den Sternen, wählen nur einen winzigen uns einmal bekannten Ausschnitt um zu beschreiben von was wir nahezu nichts wissen können.

Es mag also sein, dass uns die Sterne bei der Liebe bestimmen, wie der Mond oder die interstellaren Blähungen unseres Heimatsterns aber solange wir nur über Mutmaßungen und Glaubenssätzen zu Aussagen kommen, sollten wir dies Hindernis auf dem Weg der Erkenntnis lieber vergessen, es klärt nicht auf, sondern ist eher eine Nebelmaschine, die den faulen Geist in schlichte Gewissheiten einlullt, die, dächte er nach, unter seiner Würde wohl wären.

Zum anderen, aber viel entscheidender und das führt uns zum Thema dieses gedanklichen Ausflugs zurück, wäre es ein absurder Vorgang eine Prädestinationslehre zweifelhafter Glaubwürdigkeit für ein notwendig freies Handeln verantwortlich zu machen.

Etwas weniger abstrakt formuliert, wenn ich mich verliebe, weil die Sterne so stehen, verliebe ich mich nicht sondern werde verliebt, dann entscheide ich mich nicht für den oder die andere, sondern werde quasi, ohne alle Freiheit, im natürlichen Zusammenhang verkuppelt und entschieden.

Manche Menschen leben auch heute noch in dem Glauben ihr Leben sei vorherbestimmt und sie führten nur aus, was höhere Wesen oder Zusammenhänge längst für sie entschieden, die Willensfreiheit sei eine Illusion und der Mensch funktioniere einfach in den Bahnen, in denen er durch höheren oder natürlichen Zusammenhang steht.

Diese Menschen verlieben sich also, wenn sie es tun und auf das, was sie dann tun überhaupt das Wort Liebe passt, nicht in einen anderen weil sie es wollen, sondern weil sie es sollen.

Jene nach der Aufklärung und im Zeitalter des Materialismus auf eine kleine etwas eigentümliche Randgruppe geschrumpfte Gemeinschaft von Gläubigen, hat durch die neuen Prädestinationslehren, die Teile der Neurologie vertreten, wieder mehr Zulauf erhalten.

Danach entschiede der Mensch nicht, was er tut, sondern werde von vorbestimmten Konstellationen seiner neuronalen Strukturen zu diesem oder jenem Handeln bestimmt. Der freie Wille sei eine Illusion, die uns unsere beschränkte Erkenntnisfähigkeit vorgauckelte als wir noch nicht wussten, was uns diese neuronale Heilslehre nun offenbart, dass wir einfach funktionieren, so schlicht logisch wie die Rechner, die sie zur Berechnung und Messung ihrer dies begründenden Thesen benutzen.

Wer hier einen gewissen Zirkelschluss vermutet oder sieht, könnte hinter die Kulissen der Warheitsverkünder schauen und vielleicht schon den Schlüssel in der Hand halten der uns eine Antwort auf die Frage gibt, wie frei wir zu lieben sind. Mehr logischen Gehalt als die ursprünglichen Prädestinationslehren hat nämlich auch diese sich auf wissenschaftliche Erkenntnisse berufende Sicht nicht, da auch sie nur systemimmanent urteilt in dem System, dass sie meint beurteilen zu können, ihre eigene Beschränkung verkennt, auf der sie die Axiome ihres Denkens aufbaut. Aber sie kann ja, wie die meisten irgendwie Vorherbestimmten nicht anders.

An dieser Stelle kann die Frage der heutigen Relevanz dieser historisch immer wieder bekannten Wahrheitsbesitzer und ihrer sicheren Anschauung von den Dingen gestellt werden und dabei dankbar an Platons Höhlengleichnis gedacht werden in einer etwas konstruktivistischen Auslegung.

Ob es wirklich unser Willen ist, dass wir uns verlieben oder nur ein Produkt hormoneller Bestimmungen, wie die biochemischen Prädestinationslehrer gern zum Besten geben, der Wille gar keiner ist, sondern nur Produkt berechenbarer neuronaler Reaktionen, wie es die andere Fraktion der Forscher für sich in Anspruch nimmt, kann dahinstehen,  sofern es nichts gibt, was unseren Eindruck vom Leben widerlegen kann, wir führten es und wir uns glaubhaft danach richten können.

Vor allem könnte es in der Frage der Liebe und der für sie notwendigen Freiheit entscheidend auf unser Gefühl für sie ankommen, was nun die Welten vom bewusstem Willen und triebhafter Steuerung in ein schwer entwirrbares Chaos verwickeln.

Hier schalten sich dann die anderen großen Räuber der Freiheit in der Gegenwart ein, die Psychologen, die sich über das erdachte Unterbewusste und die mit ihm verbundenen Heilslehren, noch dazu auf einer vermeintlich wissenschaftlich logischen Grundlage, fern aller Freiheit zu den Nachfolgern der Kirchen im Bereich der geistigen Freiheitsberaubung machten.

Diese Seelenheiler, die nicht mal logisch erklären können, was die ominöse Seele materiell sei und warum es einen Raum in uns geben sollte, zu dem nur sie einen methodischen Schlüssel der Heilung, Analyse oder doch zumindest Diagnose hätten. Die damit eine therapeutische Macht aus dem Reicht der Phantasie begründeten, das den freien Willen zum Treppenwitz der Geschichte machte.

Dass sie sich infolge um so intensiver mit der Liebe, ihren Ursachen und ihrem Zusammenhang mit den Trieben beschäftigten, ist machtpolitisch logisch und letztlich konsequent. Wie sie es taten war es leider auch, weshalb eine weitere Betrachtung dieser sogenannten Lehren auch mehr Verwirrung als Aufklärung stiftete.

Wir sind so frei uns zu verlieben, wenn uns danach ist und auch die absurdesten Gläubigen der Prädestination seien sie nun Wissenschaftler, Psychologen oder irgendwie Theologen, welcher Glaubensrichtung auch immer, bestreiten nicht, dass es um ein Wollen geht - des anderen, des persönlichen Glücks, der Forpflanzung, der Sicherheit - auch wenn sie den Willen oder seine Entstehung leugnen.

Wer nicht mehr will,  kann, soweit heute zum Glück auch unstrittig, nicht zur Liebe gezwungen werden, weil ein Wollen des Gefühls uns absurd erscheint. Auch wenn es immer wieder gerade im Eltern-Großeltern-Kind-Verhältnis dabei zu seltsamen Varianten kommt, die weniger mit der Freiheit der Liebe als der konventionellen Erwarung zu tun hat.

Liegt die Kunst in der Beschränkung?

Gern vom Volksmund zitiert und in spirituell oder sonst geistig geschwächten Kreisen angeführt, wird die Weisheit, dass Lieben loslassen hieße. Auch wenn es uns so nichts sagt, was losgelassen werden soll, wie weit und wohin, schimmert durch diese Phrase doch auch der Zusammenhang von Freiheit und Liebe, wie er hier untersucht werden soll, die Idee hat sich also offensichtlich sogar bis in schlimmstenfalls spirituell angehauchte Kreise durchgesetzt auch ohne alle Vernunft, wenn wie so oft “nur aus dem Bauch” gesprochen wird und es doch immer nur “auf das Herz ankäme”.

In diesem Kontext wird auch gern gesagt: “Kind, die Liebe lässt sich nicht erzwingen.”

Warum eigentlich nicht, etwa in der staatlich geförderten Ehe, die gewünscht ist als Garantie für Konstanz oder gegenüber den Kindern mit Sanktionen gegen ihre Liebespflicht verletzende Eltern?

Stattdessen sanktionieren wir den kleinen Klaps und jede Form physischer Gewalt, lassen aber den viel gravierenderen Liebesmangel, der Kinderleben erst grausam macht und viel zu viele Kinder in Drogensucht und andere psychische Deformationen trieb, ihnen die Lebenslust raubte. Aber trotz dieser Katastrophen sind wir uns ganz sicher, Liebe lässt sich nicht erzwingen und alle Versuche sind zum Scheitern verurteilt.

Loslassen und nicht erzwingbar sind also zwei konstitutive Merkmale der Liebe, wie sie durch alle Schichten der Bevölkerung auch unabhängig von der Bildung anerkannt werden.

Interessant ist dazu die Anekdote aus dem Bürgerlichen Gesetzbuch, nach der, der Vollzug der Ehe, also der eheliche Beischlaf oder anders genannt auch der Vollzug der Liebe einklagbar waren, wurde zwar neuerdings als absurd abgeschafft, da der einklagbare Anspruch nie durchsetzbar war, da es keine staatliche Stelle gab, die den friedensstiftenden Beischlaf beobachten und beurteilen konnte, ob damit dem ehelichen Frieden genüge getan wurde.

Vollzug der Ehe und Vollzug der Liebe, erzwingbare Handlungen und Rechte aufeinander wie Ansprüche gegeneinander sind der staatliche Rahmen der gewohnten Zweierbeziehungen, die den Begriff der Liebe ad absurdum führen, im scharfen Gegensatz zu ihm stehen. Die nun auch anekdotische Diskussion über die Bestrafung der Vergewaltigung in der Ehe ist ein weiteres Beispiel dafür wie fern der Liebe die formale statlich anerkannte Beziehung ist und welches Wunder es demnach sein müsste, wenn die Liebe sogar das überlebt.

Eigentlich wissen wir das, dennoch heiraten die Menschen und tun es nicht einmal aus finanziellen Gründen, im Gegenteil, sicher auch aus Konvention aber in den meisten Fällen wird heute als Grund die Liebe angeführt.

Eine Form der rechtlichen Freiheitsberaubung scheint erstrebenswert für die große Liebe, um sie zu sichern - wo darin Beschränkung im Sinne der edlen persönlichen Zurücknahme liegen soll, ist insoweit nicht ersichtlich. Spannend wird es sein, dem auf den Grund zu gehen, um sich der freien Liebe oder der Freiheitsliebe anzunähern.

Sichtbar ist der ganze Bereich von absurden Gewohnheiten und unerklärlichen Dingen besetzt, die dem normalen Verstand Hohn zu sprechen scheinen.

Macht die Liebe blöd?

War also die naheliegende Frage am Ende dieser Betrachtung der Liebe im Frühling und ihrer Auswirkungen und es fiele schwer, sie klar zu verneinen.

Sie verengt den Horizont, lässt uns einen Menschen für den oder die Schönste unter allen halten, dies zumindest gerne behaupten, gibt uns das Gefühl von Einmaligkeit, wie wir es mit Milliarden von verliebten Menschen um den Globus teilen, lässt uns sonst unerträgliches ertragen, treibt viele Menschen in Verzweiflung, hemmt ihre Leistungsfähigkeit und lenkt sie ab.

Gerüchteweise soll sie auch beflügeln und kreative Energie freisetzen. Die Betroffenen zu ungeahnten Höhen führen aber all dies immer nur im Kontext mit dem Vollzug der Liebe oder dem Weg dahin, der ja mit dem Wollen, über das sich alle einig sind, nur bedingt zu tun hat, sondern näher an dem natürlichen Triebwesen steht,  das sich fortpflanzen will, danach strebt, seine Gene in die Welt zu werfen.

Wenn der Wille eine Illusion wäre, die Fortpflanzung das eigentliche Ziel dieses auch biochemischen Prozesses noch bliebe, stellte sich die Frage, warum sich in der Evolution diese Illusion erhalten und weltweit durchgesetzt hat.

Sie macht offensichtlich blöd, die gesteigerten Fähigkeiten sind scheinbar nur auf ein Ziel gerichtet, dessen Erreichung ohne den emotionalen Aufwand vermutlich leichter wäre.

Es gibt viel, was gegen die Liebe als Mittel der Fortpflanzung spricht und der moralische Umgang der Menschen damit durch die Jahrhunderte kündet nicht gerade vom Gegenteil. Dazu kommt noch, dass sie womöglich die effektiven Kriterien bei der Auswahl eines Partners zur Begattung emotional völlig überlagert, wir nicht genetisch sinnvoll und evolutionär klug wählen, sondern nur aus dem Bauch aufgrund einer überkomplexen Reihe von Ursachen, die wir nicht verstehen.

Dennoch meinen wir, sie fühlt sich schön an, halten sie für das Größte, was uns passieren kann, auch unabhängig vom Ziel der Fortpflanzung und halten an der dafür gehaltenen Liebe oft auch nach Ende der Paarungszeit fest, idealisieren diese sogenannte ewige Liebe sogar als das Höchste.

Finden wir, was blöd macht, der Logik der Evolution widerspricht, keinen sichtbaren Zweck verfolgt nur darum gut, weil es zu nichts nutze ist?

Welche Folgen hätte es für die Weltwirtschaft, wenn sich diese Erkenntnis zum Streben nach Glück durchsetzt?

Die Liebe scheint völlig unnütz in jeder Hinsicht von  evolutionärer Effektivität, trotzdem wollen wir sie unbedingt behalten, hielten gar ein Leben ohne für unmenschlich.

Sind wir bescheuert oder ist das eben unsere Freiheit nur wollen zu können auch wenn es nutzlos ist?
jt 19.5.13

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