Dienstag, 14. Mai 2013

Um den Block

Um den Block

Aus dem Haus treten, sich nach links wenden und an dem Café Restaurant Caterinas Liaison vorüber gehen, in dem Menschen ganz in Ruhe auf den türkis farbenen Holzstühlen oder der weißen Bank sitzen, Kaffee oder Tee trinken, manche auch schon einen Wein und mit dem dynamischen Chef des Hauses plaudern, um daneben beim Kindergarten die Mutter zu beobachten, die sich zu ihrem Kind ans Fenster beugt, ersten Kontakt aufnimmt, ganz bei sich ist, während ihr Rock vom Fahrradfahren ein wenig hochgeschoben, auch tiefere Einblicke gewährte, die der Flaneur den Buchladen schon im Auge lieber übersieht, zeigt schon in zehn Schritten viel von der hier Heimat in der großen Stadt.

Sich am Buchladen, drei Hauseingänge der in milden Farben gestrichenen Altbauten weiter, für einen Moment im Fenster versenken. Die schönen Bände der Inselbibliothek, die dort gerade stehen lieber studieren als die Thriller, die vorher dort standen, sich an dem Band der Eheleute Reich-Ranicki besonders erfreuen und an seine Geschichten aus meinem Berlin denken, als noch Gründgens am Theater am Gendarmenmarkt spielte. So schon keine fünfzig Meter vom eigenen Haus entfernt, an der nächsten Ecke eben die Zeit vergessen, ist typisch für einen verträumten Ort jenseits der Zeit, an dem die letzten auch am Montag ihr Frühstück bis 17h bestellen.

Sich nun mit dem Buchladen um die Ecke begeben, in die dort nach dem Entdecker Trojas benannte Straße mit den teils genossenschaftlich sehr intensiv bunt bemalten Häusern und den noch mehr Schaufenstern mit den Kinderbüchern nur halb aufmerksam folgen. Einen Moment in das Schaufenster des Secondhand Ladens voller sommerlich frischer Kleider aus verschiedenen Zeiten schauen, sich an der liebevollen Dekoration im Detail erfreuen und von den irgendwann wieder so gewandeten Damen am Platz träumen im weiter gehen, denn was hat ein einzelner Herr, auch mit Zigarette in der Hand zu lange vor einem Schaufenster mit Damenkleidern zu suchen, würden sie sich vielleicht westlicher fragen, hier lächelt mir die vermutlich sogar noch eingeborene Ladenbesitzerin freundlich zu, weil ich ihres würdige.

Nun geht es mit nur einem Hauseingang als Unterbrechung weiter am Film-Café vorüber, meiner und meiner Tochter Fußballkneipe, mit dem kleinen Kino im Keller und den Bänken vor der Tür, an Spieltagen oder zu Premieren bis auf den Gehsteig überfüllt, nun eher beschaulich für sich, ein wenig abseits des Platzes schon. Ähnlich spärlich um diese Zeit, wenn am Platz noch die Sonne scheint oder doch zumindest teilweise die Hoffnung auf sie, ist das Steakrestaurant daneben von dem ich bis dato wenig mehr berichten kann, als dass es da ist.

Es folgen noch verschieden bunte Hauseingänge der hier ehemals besetzten nun ordentlich genossenschaftlichen oder milder gestrichen schlicht vermarkteten Häuser.

Ein Fotoladen voller animierter Brautbilder, der die vollständige digitale Begleitung der geplanten Hochzeit anbietet wird von manchen eher schnell übersehen, um sich nicht der eigenen Einsamkeit bewusst zu werden, manchmal stehen auch Paare träumend davor und wer wollte ihnen schon die Illusion rauben - manchmal verzögere ich dort den Schritt, ziehe noch mal tief an meiner Zigarette und schaue mir, den Ball der einsamen Herzen im Hinterkopf die bebilderte Glücksseligkeit an und manchmal träume ich noch, wie es wäre, solches zu erleben, doch glücklicherweise ernüchtert die Wirklichkeit aus fernen und nahen Fenstern oft schneller als gedacht - die traute Zweisamkeit ist ein schöner Traum mit vermutlich Anspruch auf Artenschutz heute.

Nebenan ein nicht nur leicht alternativer Töpferladen, dessen Fenster schon vermutlich sehr gesund gestrichen sind. Die schmalen Schaufenster dekoriert mit Vasen, Bechern, Stövchen und irgendwie Platztellern verlocken, wenn schon nicht zum Konsum so doch potentielle Käufer glaubwürdig zum guten Gewissen.

Eher attraktiv und voller auch für denkende Menschen reizvolle Plakate ist die Videothek, die eigentlich nun vohl eine DVDthek wäre, spräche sich dies nicht so schlecht - auch in ökologisch korrekt bemaltem rot die hier Fenster, die mit Plakaten der schönen Klassiker des Films geschmückt sind - was danach an Auswahl sichtbar ist, ist eine große Auswahl der wertvollen Filmkultur, allerdings urteile ich bis dato nur von außen, denn die bewegten Bilder sind dem Flaneur zumeist zu schnell, doch das Publikum ist hiesig, eher akademisch gebildet oder zumindest mit kulturellem Anspruch jenseits der genossenen oder gezwungenen Bildung. Die sonst übliche Schmuddelecke mit Kinderverbot ist nicht ersichtlich, die Paarung wird wohl noch miteinander vorgenommen und die Ergebnisse sind allerorts zu hören und zu bestaunen.

Zwei Hauseinfahrten weiter, sehr dunkel noch, die Raucherbar, in der eine Bar, wenige Tische, dafür ein Billiardtisch und ein Kicker im Hinterzimmer stehen. Ob es die Schwaden sind, die dort nicht sehen lassen, die spärliche Beleuchtung oder die Ahnung des vielfältigen auch alkoholischen Abgrundes in den sich der Besucher hier begibt. Wer hier war, wird sich und alles was er trug gut waschen müssen, will er nicht von allen als Besucher wiedererkannt werden, schreibt der Flaneur aus Erfahrung, der manch tiefschürfendem Gespräch an der dortigen Bar lauschte oder den dortigen, auch Damen, beim Spielen zusah. Eine Spelunke würden manche sagen aber gerade die bieten ja manchmal die tiefsten Einblicke in was wir Leben nennen. Hier erschöpft es sich zu oft leider, wenn auch verständlich, im Klagen über Zustände, die auch anders beklagt würden, weil es den Beteiligten allen längst an der Motivation fehlt, etwas noch zu ändern.

Etwas ändern dagegen wollten die Besetzer des Hauses 1989 in dem direkt daneben nun die Robert Havemann Stiftung sitzt und in deren Archiven sind die wichtigsten Zeitungen, Flugbläter und vieles mehr des wilden Jahres, in dem noch von Gerechtigkeit und Demokratie geträumt wurde, bis der Rechtsstaat kam, auf mittlerweile über 400 laufende Metert angewachsen. Es sind Erinnerungen an eine Zeit in der viele noch vieles füreinander und eine Idee riskierten, gerade in der hier sehr nahen Gethsemanekirche war ein Zentrum des Widerstandes wie dieses nun wohl sanierte und mild gestrichene Haus, fünfzig Meter um die Ecke von mir. Selbige Kirche wäre zu erreichen, wenn an der nächsten Ecke nicht planmäßig um den Block nach rechts sondern nach links, ohne nomen est omen, abgebogen würde und der dortigen Stargarder Straße über rund hundert Meter und drei Kreuzungen gefolgt würde.

Wir aber wollen nach rechts, nur einmal eben um den Block - noch kurz an einem ummauerten irgendwie Gartengrundstück vorbei, einer seltsamen Lücke und dem Eckhaus mit unten Café im hier verbreiteten Stil zwischen Sperrmüll und 70er Edel-Design, um diese Zeit der Teestunde noch eher leer, wenn überhaupt geöffnet, ist es ein Ort der Nächte hier auch.

Da es nun an Schönen vor und im Café Fräulein Dickes nur mit Namen mangelt, es also auch wenig Gründe zur Verzögerung gibt, geht es nun abgebogen nach rechts weiter an der nächsten Hauseinfahr vorbei, die mit den hiesigen Singvögeln das sehr engagierte Kindermusikprogramm zweier ansässiger Kirchenmusiker beherbergt. Ein Ort der Musikliebe mit gelegentlichen Konzerten für Kenner, ein noch Geheimtipp, ist es wieder, wie so oft hier im Kiez eben, man kennt sich aus der Schule, kennt die Geschichten der anderen Kinder, lächelt sich an und denkt sich seinen Teil, falls das Lächeln zu kurz oder zu intensiv war oder nicht innig genug - sehr ernsthafte Menschen jedenfalls, die, was sie tun, mit Herz tun, auch wenn sie die Kinder aus den Augen verloren, wie die Eltern bald, wenn sie nicht übereinander stolpern gelegentlich, verlegen lächelnd eben.

Neben besagtem Hinterhof, der zurück in die ersten Schuljahre meiner Tochter führte, taucht der Friseur Hairlich Natürlich auf über den es nicht mehr zu berichten gibt bis dato als, dass zumindest zwei der dortigen Damen, die nicht mehr Friseusen heißen, wie wir sicher alle wissen, rauchen und dazu gelegentlich vor der Tür ihres herrlich natürlichen Salons stehen.

An diesen schließt sich ein kleiner Platz an - seit Kriegszeiten oder länger womöglicvh, spätestens jedoch da, leer stehend und mit Bäumen anstatt bewachsen, einigen Bänken, zwei Tischtennisplatten zur Ertüchtigung der Jugend und einer Boule Bahn, dem gelassenen Sport der südlichen Franzosen, der sich bei den Bewohner dieses Viertels immer größerer Beliebtheit erfreut.

Den Platz in der Diagonale querend nuin bereits über die Hälfte des Weges zurückgelegt, kommen wir in die Dunkerstraße und wieder beginnt es, wie an der vorvorigen Ecke mit einem Buchladen  - diesmal für Kinder, mit wunderbarem Fenster voller Träume und hier und da auch einem Buch für Eltern, die nicht nur über ihr Elternsein lesen wollen.

Nun geht es wieder Schlag auf Schlag auf Schlag und Laden an Laden, Café neben Bar und Schnellimbiss, einige mit ihren Shishas werbend, andere mit dem möglichen Alkohol oder Absinth, dazwischen das keusche Lila Lämmchen in dem die gebildete Mutter guten Gewissens ihren Sprößling einkleiden kann und so sie selbst nicht mehr weiter gehend sucht als in diesem Milleu wird auch sie hier noch etwas bequemes und gesundes für sich finden. An den Schnellimbiß asiatisch internationaler Provenienz schließt sich noch eine Herrenboutique mit den etwas edleren Jeanswaren an auf die noch eine Spur edler der Laden wieder an der Ecke folgt mit dem royalen Namen Victoria & Albert, der Kleider im hiesigen Stil, Lampenschirme, Geschirr und andere englische Dekorationswaren vertreibt und dessen Fenstern wir wieder um die Ecke in die Lettestraße folgen, bis quasi vor die eigene Tür.

Stilistisch passend zu dem royalen Bekleidungs- und Dekorationsladen im Landhausstil folgen noch Café und Bäckerei Malinkoff, die dreiviertel des hier schon sehr breiten Gehwegs einnehmen, so dass nur sich gelegentlich entgegenkommende Zwillingswagen vielleicht aufpassen müssen, nicht zusammen zu stoßen.

Bevor der Gang um den Block endet noch ein Friseur mit Tisch vor der Tür in dezentem Braun gehalten und zahlreichen digitalen Bildschirmen in mehreren Fenstern die uns Passanten Tag und Nacht die Anwendung von Harkuren, Färbungen oder Pflegemitteln bilderreich erläutern, dahingestellt, ob dafür noch Bedarf ist.

Auch einen Tisch hat inszwischen der Makler vor der Tür, in dezentem lindgrün und die üblichen Objekte dezent im Fenster hängen.

Und das war es schon, einmal um den Pudding und wieder da, nichts passiert aber viel erlebt und ein wenig durch die kleine Welt gewandert, die mich umgibt, auch wenn von den Hinterhöfen noch keine Spur erwähnt wurde.
jt 14.05.13


2 Kommentare:

  1. Danke, das freut mich, ein Versuch in verzögerter Prosa und eben nur einmal umme Ecke oder um den Pudding, wie wir Bremer so sagen ;)

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