Samstag, 5. April 2014

Das Leben ist kurz – genieße es



 Aus einem Artikel für den Pankespiegel 2/2014



Dass Thema ist geradezu ein Ausruf, eine Freude und ein Aufbruch im just verschneiten Januar, in dem der Winter nun endlich Einzug hielt. Aber ist es ein Ausruf oder eine Frage, ist es zweigeteilt oder gehört das eine zum anderen, ist es eine Folge oder eine bloße Behauptung, fragt sich der im Schnee einsame Autor nach zauberhaftem Jahresbeginn.

Wenn es ein Aufruf mehr sein soll, als eine Frage, wäre zu prüfen, wie wahr im Kern seine Aussage ist und was davon übrigbleibt, wenn wir es kritisch prüfen, also den Regeln der Logik unterwerfen oder ähnliche Salti schlagen.

Ist das Leben wirklich kurz?

Das kommt immer darauf an, wäre wohl die einzig angemessene Antwort, gemessen am Alter der Erde, unserer menschlichen Geschichte im Spiegel der Evolution, ist das Menschenleben ein Nichts, kaum begonnen, schon vorbei, und insofern wir es als endlich begreifen, und nichts spricht dafür anderes zu tun, außer dass es weit verbreitet ist, die Grenzen des Lebens geistig überschreiten zu wollen, bleiben doch alle Theorien dazu immer noch ein wie auch immer gearteter Aberglaube, für den jeder logische Beleg fehlt, ist es so gesehen wohl kurz.

Andererseits, betrachten wir, was in einem Menschenleben geschehen kann, wie Welten sich wandeln und von einem Moment auf den anderen, sich uns neue Welten eröffnen. Oder betrachte ich die Lebensspanne meines Großvaters, der 1904 geboren, noch kaiserlicher Kadett wurde, als sein Großvater vor Verdun fiel, als Student im Paris der 20er lebte,  schließlich im nächsten Krieg im Kontakt mir der Résistance war, auf Gördelers Listen stand und darum degradiert und gen Osten geschickt wurde nach dem 20. Juli 44, was er irgendwie noch überlebte, um sich mit seiner Frau und vier Kindern aus Güstrow flüchtend, ins Siegerland durchschlug, Holzfuhrmann wurde, bis er wieder Beamter am Bundesrechnungshof war, von diesem wiederum nach Paris und Brüssel zur Nato als Zahlendiplomat verliehen wurde, bis er irgendwann wieder in Deutschland seinen friedlichen Lebensabend im Haus mit Garten und Enkeln in der Wetterau verbrachte, bis er nach der Vereinigung des Landes und dem Besuch der Städten seiner Kindheit in Gotha friedlich starb, dann sehe ich ein ganzes Jahrhundert in einem Leben gespiegelt, denke daran, wie er mir erzählte, wie er noch als Student von Leipzig nach Königsberg zum Akademischen Turnerfest mit dem Rad gefahren wäre, weil er sich die Eisenbahn nicht leisten konnte. Er hat das Internet und Mobiltelefone nicht mehr kennengelernt, anders als seine Schwester, die 1900 geboren erst 2000 starb, kurz vor dem hundertsten Geburtstag, wenn auch die letzten Jahre leicht verwirrt und sehr schwerhörig. Kurz ist das Leben also nicht, aber was muss es dann haben, um lang zu sein, ist es wirklich das quantitative oder ist es mehr ein Ausruf der zur Wahrung der Qualität aufruft?

Hängt die Kürze des Lebens mit seiner faktischen Endlichkeit zusammen oder damit wie relativ wir unsere Zeit wahrnehmen, je nachdem wie beschäftigt wir sind und mit was wir sie füllen?

Das „Oh Augenblick verweile doch, du bist so wunderschön“ des alten Meisters Goethe drückt diese relative Wahrnehmung der Zeit aus, die wie oben dazu auffordert zu genießen, was ist, weil es kurz ist oder uns zumindest kurz vorkommt.

Hatte unfreiwillig die Gnade zu erfahren, was viel Zeit ist, als ich infolge einer Trennung und den bekanntermaßen dazu gehörenden Auseinandersetzungen zu viel Zeit nichts tun durfte oder nur sehr zu meinen Ungunsten hätte tun können, warum ich lieber nichts tat, als schreiben und lesen und die Zeit und ihre Wahrnehmung, ohne eine Partnerin an der Seite, die nach der Uhr schaut oder ständig gehetzt ist, haben sich vollständig verändert.

Es gibt nicht die Zeit sondern immer nur unsere Wahrnehmung eines zwar vermessenen Zeitraums, der aber völlig unterschiedlich abläuft. Relativiert sich dieser Satz also in Kenntnis etwa auch der modernen Atomphysik, nach der die Zeit auch nur eine relative Größe zur Geschwindigkeit ist, mit der wir uns durch den Raum bewegen?

Spiegelt unsere Wahrnehmung also vielleicht wieder, was Goethe in seinem sehnlichen Verlangen so treffend ausdrückte, was die Physik heute berechnen kann, dass sich auch die Zeit und also die Kürze des Lebens relativieren?

Wenn es aber je nach Wahrnehmung nur kurz ist, stellt sich die Frage, ob die Aufforderung des Genießens bleibt, oder diese sich angesichts der Relativität auch relativiert.

Ganz Epikur und Lukrez hier folgend, der es in seinem de rerum natura so trefflich besang, strebt alles Leben danach, glücklich zu sein. Was sonst könnte also sinnvoller Lebensinhalt sein, als sich zu bemühen, so glücklich wie möglich zu sein, den Augenblick zu genießen, wie er sich zeigt.

Egal also, wie kurz oder lang das Leben nun ist, es im Schatten der griechisch-römischen Philosophie der Epikuräer so sehr wie möglich zu genießen, macht es schöner, nur ob der genossene Augenblick schneller vorüber eilt als die ewigen Tantalus Qualen, wäre eine andere Frage, die aber darum logisch noch nicht gegen den höchstmöglichen Genuss der eben relativen Zeit spricht.

© jens tuengerthal 21.1.14

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