Aus einem Artikel für den Pankespiegel 2/2014
Dass Thema ist geradezu ein Ausruf, eine Freude und ein
Aufbruch im just verschneiten Januar, in dem der Winter nun endlich Einzug
hielt. Aber ist es ein Ausruf oder eine Frage, ist es zweigeteilt oder gehört
das eine zum anderen, ist es eine Folge oder eine bloße Behauptung, fragt sich
der im Schnee einsame Autor nach zauberhaftem Jahresbeginn.
Wenn es ein Aufruf mehr sein soll, als eine Frage, wäre zu
prüfen, wie wahr im Kern seine Aussage ist und was davon übrigbleibt, wenn wir
es kritisch prüfen, also den Regeln der Logik unterwerfen oder ähnliche Salti
schlagen.
Ist das Leben wirklich kurz?
Das kommt immer darauf an, wäre wohl die einzig angemessene
Antwort, gemessen am Alter der Erde, unserer menschlichen Geschichte im Spiegel
der Evolution, ist das Menschenleben ein Nichts, kaum begonnen, schon vorbei,
und insofern wir es als endlich begreifen, und nichts spricht dafür anderes zu
tun, außer dass es weit verbreitet ist, die Grenzen des Lebens geistig
überschreiten zu wollen, bleiben doch alle Theorien dazu immer noch ein wie
auch immer gearteter Aberglaube, für den jeder logische Beleg fehlt, ist es so
gesehen wohl kurz.
Andererseits, betrachten wir, was in einem Menschenleben
geschehen kann, wie Welten sich wandeln und von einem Moment auf den anderen,
sich uns neue Welten eröffnen. Oder betrachte ich die Lebensspanne meines
Großvaters, der 1904 geboren, noch kaiserlicher Kadett wurde, als sein
Großvater vor Verdun fiel, als Student im Paris der 20er lebte, schließlich im nächsten Krieg im Kontakt mir
der Résistance war, auf Gördelers Listen stand und darum degradiert und gen
Osten geschickt wurde nach dem 20. Juli 44, was er irgendwie noch überlebte, um
sich mit seiner Frau und vier Kindern aus Güstrow flüchtend, ins Siegerland
durchschlug, Holzfuhrmann wurde, bis er wieder Beamter am Bundesrechnungshof
war, von diesem wiederum nach Paris und Brüssel zur Nato als Zahlendiplomat
verliehen wurde, bis er irgendwann wieder in Deutschland seinen friedlichen
Lebensabend im Haus mit Garten und Enkeln in der Wetterau verbrachte, bis er
nach der Vereinigung des Landes und dem Besuch der Städten seiner Kindheit in
Gotha friedlich starb, dann sehe ich ein ganzes Jahrhundert in einem Leben
gespiegelt, denke daran, wie er mir erzählte, wie er noch als Student von
Leipzig nach Königsberg zum Akademischen Turnerfest mit dem Rad gefahren wäre,
weil er sich die Eisenbahn nicht leisten konnte. Er hat das Internet und
Mobiltelefone nicht mehr kennengelernt, anders als seine Schwester, die 1900
geboren erst 2000 starb, kurz vor dem hundertsten Geburtstag, wenn auch die
letzten Jahre leicht verwirrt und sehr schwerhörig. Kurz ist das Leben also
nicht, aber was muss es dann haben, um lang zu sein, ist es wirklich das
quantitative oder ist es mehr ein Ausruf der zur Wahrung der Qualität aufruft?
Hängt die Kürze des Lebens mit seiner faktischen Endlichkeit
zusammen oder damit wie relativ wir unsere Zeit wahrnehmen, je nachdem wie
beschäftigt wir sind und mit was wir sie füllen?
Das „Oh Augenblick verweile doch, du bist so wunderschön“
des alten Meisters Goethe drückt diese relative Wahrnehmung der Zeit aus, die
wie oben dazu auffordert zu genießen, was ist, weil es kurz ist oder uns
zumindest kurz vorkommt.
Hatte unfreiwillig die Gnade zu erfahren, was viel Zeit ist,
als ich infolge einer Trennung und den bekanntermaßen dazu gehörenden
Auseinandersetzungen zu viel Zeit nichts tun durfte oder nur sehr zu meinen
Ungunsten hätte tun können, warum ich lieber nichts tat, als schreiben und
lesen und die Zeit und ihre Wahrnehmung, ohne eine Partnerin an der Seite, die
nach der Uhr schaut oder ständig gehetzt ist, haben sich vollständig verändert.
Es gibt nicht die Zeit sondern immer nur unsere Wahrnehmung
eines zwar vermessenen Zeitraums, der aber völlig unterschiedlich abläuft.
Relativiert sich dieser Satz also in Kenntnis etwa auch der modernen
Atomphysik, nach der die Zeit auch nur eine relative Größe zur Geschwindigkeit
ist, mit der wir uns durch den Raum bewegen?
Spiegelt unsere Wahrnehmung also vielleicht wieder, was
Goethe in seinem sehnlichen Verlangen so treffend ausdrückte, was die Physik
heute berechnen kann, dass sich auch die Zeit und also die Kürze des Lebens
relativieren?
Wenn es aber je nach Wahrnehmung nur kurz ist, stellt sich
die Frage, ob die Aufforderung des Genießens bleibt, oder diese sich angesichts
der Relativität auch relativiert.
Ganz Epikur und Lukrez hier folgend, der es in seinem de
rerum natura so trefflich besang, strebt alles Leben danach, glücklich zu sein.
Was sonst könnte also sinnvoller Lebensinhalt sein, als sich zu bemühen, so
glücklich wie möglich zu sein, den Augenblick zu genießen, wie er sich zeigt.
Egal also, wie kurz oder lang das Leben nun ist, es im
Schatten der griechisch-römischen Philosophie der Epikuräer so sehr wie möglich
zu genießen, macht es schöner, nur ob der genossene Augenblick schneller
vorüber eilt als die ewigen Tantalus Qualen, wäre eine andere Frage, die aber
darum logisch noch nicht gegen den höchstmöglichen Genuss der eben relativen Zeit
spricht.
© jens tuengerthal 21.1.14
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen