Mittwoch, 11. Juni 2014

Werteverwandlung

Wir hören in jeder Generation von Schülern wieder die Klage des Verfalls der Werte, Betroffene beschwören eine verlorene Generation und kaum ist diese tatsächlich verloren geglaubte selbst zeugungsfähig, wandeln sich die Sichten bald, vor allem, wo sie nicht nur sich als fähig ständig beweisen wollen, sondern dies de facto taten, Kinder kamen.

Der größere Teil der Eltern nimmt mit Anlauf die Rolle rückwärts und vergissst im rotieren, was sie früher vertraten, einmal taz Autoren werden mit eigenen Kindern und etwa den Problemen des Versuchslabors der Berliner Bildungspolitiik beschäftigt, schnell zu Reaktionären der Bildungspolitik, denen die Integration etwa als eine Zwangsmaßnahme der Ungleichen zu Lasten der Gleichen erscheint, zumindest solange sie selbst keine behinderten Kinder haben, dann schreiben sie ganz schnell das Gegenteil wie jüngst im Südwesten geschehen, wo eine journalistisch vorbelastete Mutter den geplanten Schulweg ihres behinderten Sohnes benutzte, ein mediales Feuerwerk zu entfachen, die Schule und ihre in Fragen der Gerechtigkeit und Schülernähe eher berühmte als berüchtigte Direktorin bloßzustellen.

Allerdings ist die tatsächlich relativ willkürliche Theorie der Integration zum Erfolg mit viel Vorsicht zu betrachten, da sie auf genauso viel Aberglauben beruht, wie die das Gegenteil formulierende der natürlichen Separierung und vermutlich werden künftige Pädagogengenerationen die Köpfe schütteln über diesen Hauruckwahn der Integration, der durch Europa ging und im Ergebnis mehr Behinderte diskriminierte als ihnen half mit der längst Normalität und Gleichberechtigung zu leben, weil ihnen via gesetzlichen Zwang die Chance zur Besonderheit genommen wurde, aber wer weiß, möglich ist es auch, dass diese Diskussion völlig entbehrlich ist, da künftig solche kleinen genetischen Abweichungen, die zu einer sogenannten Behinderung führen - schon merken wir, wie uns der Zwang zur politischen Korrektheit verblödet - vermutlich kinderleicht genetisch vorab oder falls unaufmerksam gezeugt, einfach ex post korrigiert werden, Behinderte zu einer also aussterbenden Spezies gehören, wir nochmal alle lernen, sie gut zu intergrieren, weil bald gibt es sie ja nicht mehr.

Inwieweit daraufhin ein Aufstand der von Arbeitslosigkeit bedrohten Behindertenverbände drohte, oder dies Glück nicht behindert zu sein, nicht mehr geschätzt werden darf, weil es ja die Lebenssituation der nicht Nichtbehinderten als schlecht darstellte und also diskriminierte, wir also einen bestimmten Anteil von Behinderten, auch wenn wir es vorab verhindern könnten, weiter züchten müssen, um ethischen Ansprüchen zu genügen, kann dahinstehen, wenn es einen Wertekonsens gäbe, nach dem das gesunde Leben erstrebenswerter ist als das mit Behinderung, solches also vorab einfach eliminiert werden dürfte, damit keine unnötigen Kosten entstehen und starrsinnige, die meinen immer noch Behinderte in die Welt setzen zu müssen, könnten dann ja einfach juristisch sauber mit einer Haftungsumkehr eines besseren belehrt werden. Kurz gesagt, wenn wir wissen, woher eine Behinderung resultiert, welche Folgen sie haben kann und welche möglichen Kosten sie verursacht, dann haben wir, wenn wir solche Kinder unbedingt in die Welt setzen wollen, auch für die Kosten gerade zu stehen und nicht eine Gemeinschaft, die mit dem letzten Aufbäumen zur Integration ihren Zweck erfüllt hat und ihren guten Willen auf Ewigkeiten bewies.

Wer nun meint, dies sei eine grausame Zukunftsvision der Welt von Orwell entsprungen, fern unserer menschlichen Natur und nur noch ökonomisch orientierter Materialismus, den es zu bekämpfen gilt, dem sei viel Vergnügen dabei gewünscht, denn da leben wir längst. So ist die Berliner Charité heute weniger, wie zu Virchows Zeiten berühmt im Land für die Bekämpfung von Seuchen sondern für die Spätabtreibungen nach Indikation bei Behinderung bis zum Einsetzen der Eröffnungswehen. Es darf und wird jedes behinderte Lebewesen abgetrieben werden, wenn die Mutter sich nur klar machen lässt, dass es nur Kosten verursacht und sie ein Leben lang belastet. Auch dies menschlich für die Mutter zu gestalten, die keine werden soll, ist eine hohe Kunst, die Entfernung und Entsorgung der Reste ebenso.

Nun soll hier nicht darüber geurteilt werden, ob dies gut oder schlecht ist, notwendig oder nur ökonomisch sinnvoll, es wird gemacht, es ist legal und es gibt kein Interesse, etwas daran zu ändern von keiner bemühten Interessengruppe und nicht mal die Behidnertenverbände schreien hier zu laut und die zum Glück hierzulande noch nicht so militanten Gegner der Abtreibung, halten sich bei Behinderten auch lieber höflich zurück, denn schließlich heißt hier die Indikation, wenn der Mutter ein Leben unzumutbar ist, was zum Glück der dazu willigen Mütter ein sehr dehnbarer Begriff ist, der mit dem bekannten Berliner Laissez faire auch weit ausgelegt wird. Es ist, und das führt uns wieder zum Kern der Diskussion, auch wenn all diese nur gestreiften Themen unbedingt dazugehören, eine Frage der Wertsetzung und in Berlin wird derzeit das Leben der Mutter für kostbarer immer gehalten als das noch werdende, alemal wo es behindert ist, auch wenn das nie jemand so sagen würde. Spannend ist noch, wie hoch der Grad der Sicherheit des Mangels am werdenden Leben sein muss, um die freie Verfügungsbefugnis von Mutter und Medizin zu garantieren und bitte vergesse keiner - jeder Abort liefert auch massenhaft Stammzellen, die so hoch begehrt sind und wir wissen ja alle, in heutigen Zeiten, muss sich auch Wissenschaft lohnen und rechnen.

Berlin ist sozialer gegenüber den Frauen und ihrer Freiheit als etwa Dublin oder Rom, wo noch der Aberglaube mehr bestimmt als ökonomische Vernunft, was langfristig aber teuer werden könnte, denn wie wird im freizügigen Europa damit umgegangen, wenn Deutschland etwa durch genetische Prophylaxe weitestgehend frei von Behinderten ist, die Iren und Italiener sie aber auch aus Gründen des Aberglauben noch weiter produzieren - sich aber gern in Deutschland der guten Schule oder der Sauberkeit oder der Bundesliga oder warum auch immer niederlassen wollen und dadurch nicht eingeplante höhere Kosten verursachen - wir dürfen gespannt sein, wie künftige Parlamentarier darüber streiten werden, wer hier was zu entscheiden hat und wie sich das eigentlich katholische Bayern etwa, nur rein spekulativ, dagegen wehrt die Kosten für den Zuzug behinderter Römer oder Iren zu bezahlen, ob sie dann dafür plädieren, dass jeder EU Ausländer, der hier siedeln möchte, einen Behindertenbonus zahlen muss, wie die Autobahnmaut, wenn er sich nicht freiwillig dem deutschen Abtreibungsrecht unterwirft.

Es klingt noch so absurd, als wollten wir die engstirnigen Bayern in ihrem geizigen Lederhosenpanorama nur satirisch verspotten, aber es ist uns verdammt ernst damit, denn wir sind in der heute überall Kalkulation der Erbsenzähler, die jeden Betrieb auf seinen Gewinn prüfen, längst Gefangene einer Spirale, die genau dort hin führt, wo wir satirisch noch schrieben, was aber nüchtern betrachtet längst Realität, denn irgendwie muss sich ja alles rechnen.

Welchen Wert stellt diese Berechenbarkeit noch dar und wohin führt sie uns zu Ende gedacht, ist die konsequent nächste Frage zu diesem Thema, die uns auf der Suche nach Werten die wir unseren Kindern vermitteln schnell ganz schön ins Schleudern zwischen konsequentem Denken und abstrakter Betrachtung bringt. Was berechenbar ist, wird durchsichtig und genügt den Anforderungen, die wir an einen offenen demokratischen Prozess stellen, was erstmal ein positiver Effekt wäre. Der andere Punkt ist, dass es uns weiter Unbehagen bereitet, was rechtlich und politisch schwer greifbar ist, in einer völlig berechenbaren Gesellschaft zu leben, in der die Prinzipien der Ökonomie und ihre also Berechenbarkeit alles beherrschen.

Um dem auf den Grund zu gehen, kann auf den vorigen Text zur Natur des Kapitalismus und seine also Berechenbarkeit verwiesen werden, um nicht alle Begründungen und Darlegungen zu wiederholen, hier nur soviel - aus der Anerkennung der freien Natur des Menschen, die Voraussetzung seines Strebens nach Glück und seiner autonomen Beteiligung am politischen Prozess ist, folgt, dass der Mensch von Natur aus die Rechte eines Eigentümers am eigenen Leben hat, anders wäre jede Wertediskussion müßig, da, wenn ich dem Menschen nicht zuerkenne, dass er aus freiem Willen handelt, er auch nicht richtig oder falsch, mit anderen Worten sittlich, handeln könnte, wenn also die Herrschaft über sich und also Eigentumsverhältnisse eine Bedingung für die Existenz von Werten und entsprechendes Handeln ist, wäre es müßig, diese anzuzweifeln bei der Frage nach dem - Wie soll ich heute leben?

Damit ist nichts über das System des real existierenden Monopolkapitalismus geagt, es kann an dieser Stelle erstmal dahinstehen, nur dass wir aufgrund der Fähigkeit etwas als unser zu betrachten, also auch uns sebst, überhaupt erst moralisch handeln können. Folgerichtig passt in dieses System die Berechenbarkeit der Prozesse und unser Umgang mit ihnen. Fraglich nur bleibt, ob es eine natürliche Grenze der Berechenbarkeit gibt oder wir einfach immer weiter gehen, wie es eben unserer Natur entspricht.

Es gibt den Versuch mit der gesetzlichen Absolutsetzung der menschlichen Würde, dies zu regeln, aber es ist nur eine Krücke, liegt weder in der Natur unserer Interessen, es so zu sehen, noch ist es notwendig. Warum es ethisch und politisch gut so ist, nicht zur Debatte steht, ist eine andere hier irrelevante Frage. Gesetze taugen also nicht, eine Wertgrenze in die natürliche, absolute Ökonomisierung zu ziehen, die in jedem Fall gilt, kategorischen Prinzipien genügt, sie sind nur eine unbeholfene Krücke für die Frage, was hat wirklich auf Dauer Wert und wie schöpfen wir diesen.

Bei aller Wertsetzung werden wir immer wieder auf den Ansatz Kants zurückgeworfen, der klar feststellt, es ist einzig unser Gewissen in Freiheit, das moralisch handeln kann, jede andere Norm ist nur eine Krücke, die dem freien Gewissen zu moralischem also wertvollem Handeln aber nicht hilft sondern im Gegenteil nur einen zu befolgenden Rechtsbefehl gibt, das Handeln also wertlos macht.

Über Wertsetzung schreiben und von nötigen Normen schwadronieren, ist also logisch kontraproduktiv, da es die Beteiligten nur dazu bringt, ihr Gewissen nicht anstrengen zu müssen, da sie ja schlicht, um moralisch und also wertvoll zu handeln einem dummen Normbefehl folgen, den sie nicht weiter reflektieren müssen und auch wenn sie es tun, ist diese Reflektion nur eine Form geistiger Onanie, sachlich überflüssig, da richtig und also Recht ist, was der Norm entspricht. Wer die Normen befolgt, verhält sich korrekt, handelt aber nie moralisch in dem Sinne, dass er seinem Gewissen folgt, da umgekehrt das Handeln, das dem Befehl der Norm widerspricht, schon als unmoralisch gilt, es nicht mehr auf die eigene Entscheidung zum richtigen Handeln ankommt.

Am Ende bleibt die Frage, wie kommen wir in einer Gesellschaft, die bis ins kleinste durchnormiert ist,  dazu, die Menschen wieder zu moralischem Handeln zu bringen, wenn ihnen schon die Basis dieses Handeln durch die Setzung der Normen entzogen wurde. Wir schließen Kompromisse, damit das Zusammenleben der vielen irgendwie funktioniert, reden viel über die Werte, die es bräuchte, erlassen vielleicht Gesetze, nach denen die Kinder in der Schule lernen, was die Basis der abendländischen Wertsetzung ist, wenn es sehr gut läuft, geben wir den Kindern die Möglichkeit schon zu Schulzeiten Kants Lehre vom Gewissen als einziger und höchster Instanz kennenzulernen. Doch auch dies tun wir nur im Schatten neuer Normen, zu erteilender Zensuren für formales Verständnis.

Wer Werte finden und ihnen entsprechend handeln will, wird diese nur als moralisch wertvoll und also als Wert überhaupt schaffen können, wenn sie aus der Gewissensprüfung jedes einzelnen resultiert. Nicht die Normierung oder Regelung macht also etwas wertvoller im moralischen Sinne, sondern im Gegenteil, die Aufgabe aller Normen erst, gibt dem Einzelnen die Möglichkeit von sich aus, nach Prüfung seines Gewissens, moralisch zu handeln.

Es bleibt bei aller Wertediskussion um den moralischen Untergang des Abendlandes nur ein zulässiger Schluss, wer Werte schaffen will und die Menschen zu moralisch gutem Handeln verführen will, muss alle Werte ersteinmal über Bord werfen, damit jeder für sich lernen kann, nach seinem Gewissen zu handeln. Kästner dichtete einst, es gibt nichts gutes, außer man tut es - dem ist wenig hinzuzufügen, auch wenn egal ist, was “man” tut, weil es nur darauf ankommt, was für mich nach kategorischer Prüfung richtig erscheint. Wir brauchen dringend eine Diskussion über Werte und die Frage nach den Gründen unseres moralischen Handelns, was uns gut und wertvoll erscheint, nur darf diese nicht in dem Versuch einer Normierung enden, die das Gegenteil des erwünschten reicht. Aufklärung ist, sagte Kant auf die Frage der preußischen Akademie im Wettbewerb hin, die Befreiung des Menschen aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit. Mündig handelt nur, wer autonom ist, also nach freiem Gewissen gut handelt. Dahin zu kommen, ist ein langer Weg, sich immer noch nicht aufzumachen, das größere Problem als dabei auch zu irren, es wird für unsere Zukunft entscheidend sein, die Frage nach dem Gewissen und den Grundsätzen wertvollen Handelns uns selbst zu stellen. Wenn wir etwas ändern wollen, sollten wir uns dringend auf den Weg machen, jede Regelung ist wertlos, jede Frage, die wir uns dazu stellen eine Wertschöpfung, sein wir schöpferisch dabei.
jt 11.6.14

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