Mittwoch, 15. Oktober 2014

Sex in Berlin XXXII

An Tagen wie diesen, wo im Oktober die Sonne scheint, die Menschen sich auf Bänken in den Parks zwischen Laubhaufen treffen und sich anlächeln, wenn sie nicht fluchend, vor leeren Gleisen stehen, die bestreikt keinen Verkehr mehr gewähren, ist Berlin richtig liebenswert, solange du nicht nach der Bahn fragst, sondern im Park sitzt.

Aber auch hier flanieren die gehetzten Großstädter ihr Telefon am Ohr und erzählen ihren Irgendwos vom Stress in der völlig überfüllten Stadt und stöhnen sich laut vor wie chaotisch mal wieder alles wäre, dabei könnten sie einfach in der Sonne sitzen, sich an dieser erfreuen und die vorübereilenden Schönheiten betrachten, gleich welchen Geschlechts je nach Neigung, findet sich irgendwann immer noch für jeden, ein schöner Anblick, ihn zu genießen.

Frage mich manchmal, ob nur ich darüber nachdenke, was wohl unter der Verkleidung bei den Berlinern los ist, wie es wäre, die hier nackt zu sehen, also auf objektiverer Grundlage zu schwärmen, statt nur anhand von mehr oder weniger schönen Kleidern, die im entscheidenden Moment selten noch entscheidend sind, und würden wir, wüssten wir vorab, uns anders entscheiden?

Der Vorteil des Sommers ist ja, schon relativ viel vom zu erwartenden, erkennen zu können, diese Frage stellt sich im Herbst nicht mehr so, alle sind mehr verpackt und wenn ich die langen Beine zu kurzen Röcken in nun blickdichten dunklen Strümpfen stolzieren sehe, können nur noch die Bewegungen auf das darunter hindeuten, aber auch genauso täuschen und was zieht uns dann wirklich an?

Würde ich Frauen nach der Form ihrer Brüste oder Schamlippen auswählen für bewundernde Blicke oder möglicherweise mehr, oder ist es gut so im Herbst noch weniger in diese Versuchung zu kommen, da das darunter noch mehr erraten werden muss als im Sommer, wo der geschulte Blick schon manches darunter formgenau erkennen kann, frage ich mich nur theoretisch, um darüber zu schreiben.

Kenne diesen Anblick zur Genüge aus dem Krankenhaus und vom Strand wie überhaupt, manchmal gäbe es einen Blick der auf besonderen Geschlechtsmerkmalen hängenblieb, ob nun bewundernd, vor Schönheit glatt erstarrt oder eher vor Schreck, aber sehr viel seltener vermutlich als jetzt die Gedanken an die Orte wandern, die wir nicht sehen können.

Diese Gedanken scheinen nicht allein typisch männlich zu sein, auch Frauen unterhalten sich, wie ich lauschend bezeugen kann und wie selbige mir häufiger berichteten, darüber, was sie wohl darunter erwartet und haben oft seltsame Maßstäbe, dabei zu wählen, was ihnen als Kriterium für das geahnte Unsichtbare gilt. Weiß nicht, ob es da ein taugliches Schema für alle gibt,  und die vorhandene Probe ist relativ übersichtlich, aber dennoch interessant ist die Verkehrung gegenüber der Wahrnehmung der Männer.

Frauen schauen Männern ins Gesicht und insbesondere auf die Nase. Dies aber nicht etwa, um die Augen zu zentrieren oder sich auf den Geist hinter der darüber liegenden Stirn zu konzentrieren, sondern ziemlich überall wohl, wie es scheint, um hinter der Nase und ihrer Form anderes zu vermuten, als sicher geradezu anzunehmen, als wären die dummen Reime dazu etwas mehr als Kindereien. So sie ihm auf den Po schauen, tun sie es gern dezent.

Männer dagegen schauen Frau auch mal auf den Busen oder Hintern, klar, warum auch nicht, es ist ja auch etwas schönes, sich an der Natur zu erfreuen, aber wahlentscheidend ist eher der Blick in die Augen, das Hören der Stimme, so wir uns nah genug kommen, ihr Geruch.

Unter Männern wird sich nahezu nie über die Geschlechtsmerkmale der Geliebten unterhalten, wenn nur als Zote, ohne persönlich zu werden. Unter Frauen dagegen ist dies schon ein Thema und es wird sich immer wieder darüber, in nahezu gebetsmühlenartiger Form unterhalten. Wo immer ich es hörte, wurde betont, es käme ja auf die Länge nicht an, nur zu kurz, das wäre ja nichts und ja, die Nase, die Nase weise ja auf vieles hin. Überlege ob ich je ein Gespräch unter Männern nach der Pubertät über die Schamlippenform von Frauen gehört hätte und kann mich beim besten Willen nicht daran erinnern, im Gegenteil, werden solche Details unter Herren eher übergangen und sind ohnehin irrelevant - Brüste werden als groß oder schön bezeichnet, vielleicht mal als etwas hängend, aber das ist schon ungewöhnlich, da Herren die Neigung haben, auch vor sich in der Erinnerung, die Dinge schöner scheinen zu lassen. als sie in der Realität je waren. Was immer nun wirklich ist.

Frauen dagegen behalten ihren kritischen Blick, äußern ihn auch, was ein schwärmerisches Sensibelchen wie den Dichter, wenn er es über sich anhören müsste, vermutlich erschütterte. Im vertrauten Gespräch untereinander wird viel sachlich abgewogen, wie ich es unter Männern noch nie erlebt habe. Die schauen sich, wenn es viel ist und sie angetrunken sind, vielleicht mehrere abwägend an, aber wählen seltener nach nüchternen Kriterien oder dem, was die Frauen dafür halten.

Frauen sind dagegen überzeugt davon, dass sie von Männern, die ihnen auf Po oder Busen schauen, so angesehen werden, wie sie häufig eher dezent versteckt, die Männer beobachten, mit kritisch nüchterner Einschätzung und fühlen sich darum durch den Blick auf ihre Geschlechtsorgane reduziert. Dies auch, wenn sie mit dem Blick auf die Nase nichts anderes tun und nur eben über Umwege schauen, für ihre primäre Wahl. Viele Männer dagegen, zumindest so wie sie reden und ich, wie ich es auch empfinde, schauen auch auf Busen und Hintern, wenn sich Gelegenheit dazu ergibt, aber nur nebenbei, primär sind ganz andere Dinge wichtig und meine vermutlich völlig praxisuntaugliche zusätztliche Wahlbehinderung durch geistige Kriterien wie Intellekt und Belesenheit machen den Blick auf Busen nicht mal mehr zu einem tauglichen Gegengewicht zur schwärmerischen Suche nach dem Wesen der Frau.

Wenn ich also dann tatsächlich auch mal auf Busen oder Po schaue, ist das nicht, als würde Frau, die sonst konzentriert auf meine Nase eher schaut, mir auf die Hose mittig starren, sondern der Versuch einer Erdung der sphärischen Schwärmerei, die sonst schnell Gefahr läuft, den emotionalen Boden unter den Füßen zu verlieren. Zusätzlich behindert bin ich bei diesen Betrachtungen eines, zumindest dies betreffend, Unpolitischen, durch die verminderte Sehkraft. Wo andere aus dem Augenwinkel schauen, muss ich schon ziemlich starren, um überhaupt mir ein Bild zu machen, ohne aus dem Blick eine Meinung zu haben.

Lange Zeit verstand ich nicht, warum Frauen, die mir auf einen solch direkten Blick hin zulächelten, meist sehr viel mehr dabei dachten als ich, der ich auch auf ihre Nase hätte schauen können, ohne mir über sexuelles einen Gedanken zu machen. Habe mal versucht die Theorie zu verifizieren, dass sich die Farbe und Form der Schamhaare aus den Augenbrauen ablesen lasse, was sich in der Praxis weder bewährt, noch bestätigt hat und darum fallen gelassen wurde, was vermutlich auch an dieser unglücksseligen Mode für Pädophile, dieser völligen Nacktrasur, liegt. Aber ich fand Nacktschnecken schon im Garten meiner Großeltern häßlicher als die mit Häuschen oder Raupen.

Inzwischen habe ich aufgehört, mir Gedanken über solchen Unsinn zu machen, freue mich an der immer wieder Überraschung, da es doch den kleinen Unterschied zwischen allen gibt, ohne diesen in immer gültige Kriterien gießen zu wollen. Da ich bisher nicht mal wüsste, was ich schöner in der Form oder Art weiblicher Geschlechtsorgane finde, was sich besser liebt, was an dem geringen Umfang der Probe liegen kann, die ja heute durch das Netz noch schnell und leicht erweitert werden kann, zumindest was den Anblick angeht, von dem wir ja oben auf der Bank ausgingen, wäre es müßig, das eine oder andere zu bevorzugen, genau wie ich nicht sagen könnte, ob mich ein großer oder kleiner Busen oder ein breiter oder schmaler Hintern mehr erregt. Es ist die Frau, die ihn trägt und die als Ganze etwas auslöst, alles andere scheint heute müßig.

Vielleicht könnten sich Männer und Frauen viel besser verstehen, würden sie sich erzählen, wie sie sich betrachten und weniger urteilen, als genießen wollen, was ist. Ich liebe den Herbst, auch wenn ich beim bloßen Betrachten gerade noch viel weniger weiß, was mich darunter erwartet, woran ich mich freue, egal, wie es ist, weil es ist. So wird das weniger im Erkennbaren mir zum mehr an Glück, weil auch die offensichtliche Freude am Sichtbaren noch hinter Laubhaufen getrarnt werden kann, die Chancen steigen, einander nicht mißzuverstehen, was vermutlich der häufigste Hinderungsgrund für an und für sich mögliche Paarungen sein dürfte, auch wenn ich, blicke ich ehrlich zurück, im Herbst mich, wenn nur ganz ernst, neu paarte, ansonsten ist immer wieder überraschend, was sich ändert, so sich nur geringe Zusammenhänge unserer Systeme plötzlich ändern.
jt 16.10.14


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