Freitag, 10. Oktober 2014

Sex in Berlin XXIII

Welche Rolle spielt der von allen gesuchte Sex in Berlin tatsächlich, oder ist er nur eine Illusion in den Köpfern derer, die sich danach sehnen, fragt sich der Flaneur im Blick auf das allermeistens nicht oder die vielen gescheiterten Versuche, die hier wie dort zu beobachten sind.

Der Berliner nimmt die Dinge gern persönlich und beschwert sich dann lautstark über die Welt und wie diese es wagen kann, gerade ihn so zu behandeln, für sie gilt ein gleiches. Wen das erregt und was dies für den eigenen Erfolg bringen soll, blieb mir bisher rätselhaft, aber vielleicht wird der hier auch nach anderen Kriterien gemessen und klagen zu können scheint für den urbanen Großstädter der Gegenwart eine wichtigere Eigenschaft als die stille Tapferkeit, mit der sich frühere Preußen so gerne auszeichneten, die allerdings, sein wir da ruhig exakt, selten Berliner waren oder sich als Preußen fühlten, auch wenn sie als deren Helden galten, wie der Feldmarschall Moltke, dem es wichtiger war, viel zu leisten und wenig in Erscheinung zun treten, mehr zu sein als zu scheinen, vor allem als umgekehrt mehr Wind um sich zu machen und der eben auch Mecklenburger aus Parchim war und darum nicht zu den Berlinern gezählt werden darf vermutlich, auch wenn sie sich ihn gern allerorten gegossen aufstellten, ob als stete Mahnung oder in grandioser Selbstüberschätzung mag dahinstehen, der Alte war jedenfalls im Berlin der 1880er berühmt, auch für seinen täglichen Gang ins Adlon.

Bescheiden gibt sich der Berliner ungern und dezent zu sein, ist hier nicht die erfolgsversprechende Lebenseinstellung, da Erfolg nur hat, wer auffällt und hier eben gern über Sex redet, der diese Stadt angeblich ausmacht, auch wenn sie da wie meist grenzenlos überschätzt wird und insbesondere der Westen vermutlich frigider ist, als ich mir etwa Bad Kissingen vorstelle, jedenfalls häufiger als umgekehrt, die durch bisher nichts widerlegt wurde, im Gegenteil.

Vielleicht darum ist es spannend wie gern und oft sich hier die nur Zugereisten treffen und wie sie schon nach wenigen Zeilen eine stärkere Verbindung miteinander spüren, als es unter Einheimischen möglich scheint. Dies mag daran liegen, dass Berlin im Grunde genommen so hässlich wie schmutzig und ungepflegt ist mit gelegentlichem Hang zur Protzigkeit, die etwas aus der Zeit fällt. Nicht umsonst fühlen sich auch die Bewohner von Deutschlands Norden in ihrer Umgebung am wohlsten und egal wie lange wer dort lebte, es scheint eine besondere Verbindung unter denen von dort zu geben. Wie ein Bündnis der Hanseaten, der sogar alte Rivalitäten wie zwischen Bremen und Hamburg oder das nur Lächeln über das Nest Kiel überwindet.

Gleich und gleich gesellt sich gern und findet sich auch im multikulturellen Kessel des Hauptdorfes schnell, will es scheinen. Was dafür spräche, dass sich auch die Berliner vermutlich untereinander wohl fühlen, auch wenn sie es selten so sagen würden. Es könnte schlimmer sein, ist daher schon die ganze Fülle des Wohllauts, die dem Berliner überhaupt vermutlich möglich ist. Davon grenzen sich die südlichen Euphoriker deutlich ab, die es noch nie so toll fanden, über die grummelnden Berliner in ihrer oft eigentümlichen Mundart laut lachen und dann gerne betonen, sie könnten alles außer Hochdeutsch, was ihrer Beliebtheit vermutlich sehr zutäglich war, die gerüchteweise Aversion gegen Schwaben begründete, für die dann aber ein Zugereister wie der Schlesier Wolfgang Thierse stand, der erst über Thüringen seinen Weg nach Berlin fand um dort heimisch zu werden.

Die Menschen aus dem Rheinland importierten ihre Ständige Vertretung und versuchen es immer noch mit ihrem Fasching, der hier einfach nicht hergehört, aber geduldet wird und auch nicht weiter auffällt eigentlich. Die Bayern wollen Berlin mit ihrer Meisterschaft des Übergebens  beglücken und lassen Oktoberfeste hier spielen und das Bier fließen, was der Berliner immer gerne annimmt, auch wenn es ihm etwas dünn erscheint und die bayerische Verkleidung nur bei schlichteren Gemütern aus dem Westen vorzugsweise hohen Anklang findet. Eigentlich geht es ja doch immer nur um das eine und die Wege dorthin, auch wenn es amüsant sein kann, wie diese beschritten werden.

Amüsant ist im Gewimmel der Großstadt das Bündnis der Hanseaten, die ihre Buddenbrooks nicht nur gelesen haben, sondern vielmehr diese Riten bereits mit der Muttermilch bekamen - sie erkennen sich erstaunlich gut und in nur Nuancen und wissen doch sofort Bescheid. Ein verständnisvolles Lächeln, eine gehobene Augenbraue, kleine Details der Kleidung - eine Art der Abgrenzung, auch wenn sie sich dem Strom der Stadt dezent anpassen, da muss nicht lang geschnackt werden - das Verständnis ist da und eindeutig, die Anziehung scheint quasi natürlich und so fragt sich der geborene Bremer häufig, wenn er in den netten Cafés hier sitzt, warum er dies nicht in Bremen oder Hamburg tut, sondern in diesem immer auch Exil und das obwohl er ja nur dort geboren, gerade mal sein erstes Jahr dort verbrachte und fragt sich, ob uralte genetische Wurzeln aus der mütterllichen Linie genügen, eine Verwurzelung zu begründen.

Was es nun auch ist, es scheint auch im Paarungsverhalten klar regionale Bündnisse zu geben und so gern ich mit einer Sächsin oder Hessin flirte, gefährlich werden meinem Herzen wirklich nur die aus dem Norden, warum auch immer. Schon allein, dass ich von Herz schreibe und ähnlichem Unsinn mehr zeugt davon wie sehr das Thema verwirrt, aber vielleicht liegt dieser Unort doch näher als gedacht, denn auch wenn wir uns natürlich im Hirn verlieben, wie darüber reflektieren, scheint etwas anderes, was eben auch dort spürbar ist auf alles ab, sagen wir mal grob Hannover, anders zu reagieren und dieses etwas ist der Logik, jedenfalls meiner, bisher nicht erschließbar.

Ob es den Schwaben ähnlich geht, wenn sie einander mit ihren Sch-Lauten und dem gerne oi murmeln hören oder den Franken beim gerollten -r etwa, weiß ich nicht genau, vermute aber so ist alle Liebe und neigung auch regional verwurzelt und es gibt auch eine sicher nicht zu kleine Gruppe, denen beim Gedanken an den Sound von Apolda oder Chemnitz ganz warm ums Herz wird und seltsam genug, geht es mir bei Weimar und Gotha ähnlich, wo irgendwo meine Familie seit rund 800 Jahren wurzelt, aber so nett dies ist, ein Nichts ist es verglichen mit dem Echo des Norden und das auch, wenn die Betreffenden wie ich mehr auf genetische denn reale Wurzeln zurückgreifen können.

Es könnte also tatsächlich sein, dass wir eine genetische Disposition in unserem Gehör haben, was uns als Wohlklang erscheint und womit wir uns wohl fühlen, was uns anbetungswürdig erscheint -  auch wenn ich den Einfluss von etwa Thomas Mann und seinem Ideal der blonden Inge nicht leugnen kann, es hat nur periphere Auswirkung gehabt, vermutlich nur bestätigt, was längst über Generationen in mir als Trieb angelegt war, denn sonst hätte ja die Liebe zu Mann, die bis heute fortdauert, auch meine homosexuelle Neigung gefördert, meine Liebe zu Knaben geweckt, aber nichts dergleichen geschah bis jetzt, trotz der wiederholten Bemühungen mancher sehr attraktiver schwuler Freunde, ich finde Männer nicht sexy, ihre Gechlechtsorgane eher komisch als reizvoll und bin ein unverbesserlicher Hetero geblieben, auch wenn ich Frauen nie verstehe, ich liebe sie oder vielleicht schriebe ich klüger weil, aber darum geht es hier ja nur ganz am Rande.

Wir wählen also regional und fühlen uns erwählt, wenn es diesbezüglich zu passen scheint und dies ohne real nähere Beziehung dorthin - der einzig genetisch Verwandte von der mütterlichen Linie dort ist mir ferner als irgendeiner meiner Verwandten, die spezielle Nähe zu dem Bruder meines Vaters, den es ebenfalls in den Norden zog ist ein Thema für sich, gereicht beiden nur bedingt zum Vorteil, ist aber ja nicht Thema hier und kann darum auch dahinstehen. Interessant daran ist aber, dass der erste Grad der väterlichen Verwandtschaft in Güstrrow geboren wurde, was aber weniger Einfluss auf die Neigung zum Norden hat als die bremische Herkunft der Mutter - was daran liegen könnte, dass es in Güstrow keine Wurzeln gab, die Großeltern nur dort lebten für eine gewisse Zeit, sich dort auf einem Ball bei irgendwelchen Bülows dort kennenlernten, aber sonst kein weiterer Bezug besteht.

Bremen oder das vergleichbar jüngere Hamburg oder das bedeutendere Lübeck lassen dagegen mein Herz höher schlagen, ohne dass es einen Grund dafür gibt und wer dort herkommt oder nördlich von da, auch noch gut, hat einen völlig unverdienten Bonus in mir und ich frage mich, ob ich glücklicher wäre, würde ich regional unabhängiger. Mein Großvater väterlicherseits verliebte sich zum Beispiel sehr erfolgreich und lebenslänglich dann glücklich in meine Großmutter, die eine Halbwaise aus dem Raum Bochum war und Gutstochter bei eben diesen oben erwähnten Bülows irgendwo bei Güstrow. Ich wuchs mit bestimmten Worten auf, die tiefster Bochumer Slang waren, aber da meine Großmuter immer so gesittet und auf Haltung bedacht war, die Familie hochhielt, war für mich völlig klar, das musste hochdeutsch sein.

In der Zeit als ich eine Verlobte aus Essen hatte und deren Eltern auffiel, wie ich Bochumer Mundart Begriffe verwendete, begann ich über diese Wurzeln nachzudenken und fand es sehr amüsant, aber es hat nie dazu geführt, dass ich mich in eine Frau aus Bochum verliebt hätte. Auch lag bei meiner Bremer Großmutter wie bei meiner Mutter jegliche sexuelle Überlegung mir so fern, dass ich nicht weiß, woher diese mir genetisch erscheinende Disposition rührt. Ödipus und seine Neigung sind mir völlig gern und der nächste Bezug dazu wäre noch, das tatsächliche Kennenlernen auf irgendeinem büliwschen Gut. Hatte auch sehr glückliche Beziehungen mit und weniger glückliche Lieben zu Frauen etwa aus München, was mir ferner liegt als irgendwas, dennoch war mir dir Nähe zum Norden immer wichtiger als etwas, auch wenn ich alles tat, nie dorthin zu ziehen und freue mich lieber in der zusammengewürfelten Stadt Berlin an den zufälligen Verbindungen, die sich einfach finden und die diese regionale Neigung bestätigen.

Vielleicht hilft ja darüber schreiben, um den Spuk los zu werden und frei Menschen zu würdigen, wie sie sind, egal wo sie herkommen. Ich weiß es nicht, frage mich aber, ob es etwas ist, was überwundern werden muss, denn wenn es unsere Natur eben ist, warum sollten wir sie dann unterdrücken und wer weiß, vielleicht finden sich ja noch zwei irgendwie mental genetische Nordlichter doch zusammen im Hanseaten Exil, was weiß ich schon heute vom morgen.
jt 10.10.14

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen