Dienstag, 7. Oktober 2014

Sex in Berlin XX

In der großmäuligen Stadt, die was sie hat, gern uffem Tablet vor sich her trägt, als sei es dann mehr wert, geschieht viel öffentlich, damit es jeder sieht, insbesondere die Nachbarn und andere, die ruhig wissen dürfen, wie gut es einem geht. Das geht manchmal schon so weit, dass sie hier Pornos aufgedreht bei offenem Fenster im Schlafzimmer laufen lassen, während die Beteiligten selbst in der Küche sitzen, ein Bier trinken und Wurstsalat essen, damit die Nachbarn denken, sie hätten wer weiß was für ein wildes Sexleben und darum neidisch werden. Möchte mich hier lieber nicht im Detail dazu auslassen, in welchen Stadteilen vermutlich mehr nur Pornos laufen, wenn es im Fenster zum Hof stöhnt und wo tatsächlich etwas vergleichbares abläuft, was diese Geräuschkulisse aus der Fülle des Wohllautes erklingen lässt nach ihrer Natur.

Zu hören ist es überall relativ gleichmäßig, wo mit Zuhörern gerechnet wird. Die Ergebnisse dieses Tuns häufen sich aber mehr in weniger Bezirken, was dafür sprechen könnte, dass dort, wo weniger gezeugt wird, die Geräuschkulisse häufiger nur imitiert wird, um die Nachbarn neidisch zu machen. Aber auch da gibt es mal wieder keine wirklich belastbaren Zahlen zu Geräuschentwicklung und Liebesleben der Großstädter in dieser selbst und den provinzielleren Vororten. In Berlin jedenfalls wird mehr der Eindruck von Lust erweckt als diese gelebt, warum auch immer es manchen wichtig scheint, bei ihren Nachbarn dieses wahlweise Hengst oder Stutenwesen als wilden Eindruck zu erwecken, betreiben sie doch einigen Aufwand dafür.

Ob die meisten Stereo- oder gar Dolby-Surround-Anlagen nur zu diesem Zweck beschafft wurden, kann ich nicht kompetent beurteilen, besitze weder einen Fernseher noch eine Anlage die diesen Namen verdiente und nutze meine zu großen Boxen nur noch als Ständer für meinen Samowar oder besonders schöne Bücher, meist übrigens gerade Montaigne, was den Essays hier vielleicht noch einen weiteren Grund gibt, wenn auch nicht wirklich weiterhilft  in der Frage, ob andere diese Geräte mehr zur Vorspiegelung eines reichen Sexlebens haben - Musik dudelt wenn nur aus einem der Rechner und Musik zum Sex ist eher nicht die Regel bis dato gewesen, vielleicht da weniger vorgetäuscht werden musste, vielleicht, aber vermutlich eher, da ich kein Eingeborener bin, mir als geborenen Hanseaten diese seltsamen Spiele eher fremd sind und über die ich im übrigen, bis ich die Nachbarn wahr nahm, nicht weiter nachdachte.

Die öffentlich hörbare Schau um das Verborgene führt zur Frage, ob der Sex in der Stadt weniger etwas Verborgenes ist als eine öffentliche Angelegenheit.  Ein Stück der Präsentation wie jeder Gang in den Kiez einer auf den Laufsteg ist, auf dem wir uns begutachten, gegenseitig. Da wir beim Sex die Nachbarn für gewöhnlich nicht einladen, dies auch in Berlin womöglich noch eine Ordnungswidrigkeit wäre, die von interessierten Beamten verfolgt werden könnte, wird dort, wo hineingeschaut werden kann, zumindest der Vorhang zugezogen, als letzter Anscheinsrest von Anstand, was immer das sonst sein soll, warum im Gegenzug die Fenster geöffnet werden und manche die Lust gern möglichst teilnahmsvoll hier leben, ist mir zugegeben ein Rätsel.

Bin sicher nicht verschämt, bade lieber nackt als in überflüssigen Kleidern, egal wo und finde verklemmte Zurückhaltung beim Sex eher traurig und nervig oder gar erregend wie manche wohl, lebe die Lust und überhaupt also gern ganz nach der Natur, die ich soweit als möglich zu genießen trachte, kenne ohne Götter keine religiösen oder moralischen Bedenken und es mögen alle es so tun, wie es ihnen gefällt und dennoch finde ich es immer noch schöner, lieber für einander ungestört im Intimen zurückgezogen zu sein in voller Ausgelassenheit und schließe ich jedesmal die Fenster, weil ich finde, dass es keinen der Nachbarn etwas angeht wie meine Freundin oder Geliebte stöhnt und wann sie oder wir oder ich kommen.

Es scheint mir dies Verhalten eher völlig natürlich und dem Gefühl zu entsprechen, dass ich für die mir dann nächste hege - möchte sie für mich haben, ungeteilt genießen und wenn dies sicher auch mal zu einem lauteren Schrei führt, den Nachbarn hören könnten, macht mir das keine Sorgen, nur ist der Akt, den Akt von außen quasi abzuschließen, für mich ein Teil seiner Sinnlichkeit, die eben auch in der Eröffnung im Verborgenen liegt, in dem wir uns schenken, was sonst keiner zu sehen bekommt.

Peinlich wäre es mir nicht, sollten die Nachbarn mit dem Ohr an der Wand mithören, sollen sie sich doch daran freuen, da wäre ich großzügig und wer es geil findet, anderen beim Sex zuzuhören, möge sich gern auch daran aufgeilen, nur finde ich die Dialektik zwischen Intimleben und Öffentlichkeit nicht mehr so spannend wie mit 17 als eine Zugtoillette zum Ziel aller Träume werden konnte und der Sex im elterlichen Garten allein darum toll war. Bei den Berlinern scheint sich das weniger zu verändern oder weiter zu entwickeln. Was daran liegen kann, dass die Sehnsucht sich in allem, also auch dabei zu übertreffen und darüber zu reden, hier ausgeprägter ist als anderswo.

Lustigerweise ist mir das beim Sex völlig fremd und finde ich hier den ruhigen Genuss am vorteilhaftesten - nicht etwa still beim Sex - sie mag so laut sein, wie sie nur kann und auch ich möchte nicht schweigen müssen, nein, sicher nicht, sondern die Konzentration aufeinander und die Reduktion auf das wesentliche, als sei Sex eine Form von Meditation und letztlich geht es ja auch, jenseits der ganzen emotionalen Show um auch körperliche Entspannung und so gibt es Leute, die das gern in der Menge tun, wie manche Menschen auch Gottesdienste besuchen, um gruppenweise öffentlich nach Ritus zu meditieren, während andere sich lieber für sich ihre Gedanken machen und ich kann nicht sagen, welche Gruppe glücklicher ist, weiß nur, was mich wenn eher glücklich macht und so gehe ich nicht zum Dienst für irgendwelche erfundenen Götter, die ich nicht kenne, sondern mache mir lieber für mich meine Gedanken, was ich gut und moralisch finde und schließe zum Sex, wenn ich daran denke und dazu komme zumindest, das Fenster, um dem Privaten auch als solchem eine Wertschätzung zu geben.

Wertschätzung scheint ein wichtiger Punkt dabei zu sein, denn sicher mag es auch gut für Kinder sein, sie nicht dem Sex der Erwachsenen auszusetzen, auch nicht akustisch aber darüber hinaus bekommt das, was wir für uns tun, um uns einander zu schenken, zumindest uns einander hinzugeben, einen anderen Wert, wo wir es intim behandeln, was aber vermutlich erst wirklich wert schätzen kann, wer diese Grenzen auch schon überschritt und so bleibt nur zu hoffen, dass alle, die sich da so pubertär öffentlich lieben, auch noch irgendwann feststellen, dass es sich lohnt dies für sich zu genießen, um sich und die Sache zu würdigen und so wie es Leute gibt, die ihren Sex gern öffentlich in Clubs zelebrieren, oder sich dabei von anderen zusehen lassen wollen, wird es auch die Fensterfraktion immer geben, denen es nur gut geht, wenn der ganze Hof mitbekommt, wann und wie oft sie Sex haben, dabei ist die Sache an sich weniger wichtig, als das Gefühl, das sie trägt und warum wir sie gerade dann zulassen oder nicht.

Klar kann ich den Sex in dieser Stadt auch ständig als Freizeitbeschäftigung haben, aber ehrlich gesagt, scheint mir das auch nicht viel spannender als anderer Sport, wenn auch die verbundenen Details es spannend genug machen könnten, finde ich Sex ohne große Gefühle immer langweiliger und frage mich jedesmal danach, wozu eigentlich und so ist es dann eher komisch, was wir dabei miteinander anstellen. Um es wert zu schätzen und der Lust den gebührenden Platz zu bieten, schließe ich Fenster und Vorhänge gern dazu. Wenn ich öffentlichen Sex wollte, ginge ich da hin, wo das üblich und gewollt ist. Soviel zum grundsätzlichen der Lust und ihrem Kontext im Lichte des kategorischen Imperativs, ohne dabei zu vergessen, dass es erst richtig gut wird, wenn es uns alle Grundsätze umwerfen lässt, wenn gerade nötig, warum diese immer nur relativ gültig sind und also wie alle Gesetze eigentlich entbehrlich sind, hätten nur mehr den Mut, konsequent zu denken.
jt 7.10.14

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