Dienstag, 27. August 2013

Suum cuique in Syrien?

Suum cuique - jedem das Seine

Wem gebührt was und woraus resultiert unser Begriff der Gerechtigkeit?

Wir stehen wieder mal kurz vor einem Krieg und wieder sollen uns die Geheimdienste die entscheidenden Gründe zum vermeintlich humanitären Eingreifen geben. Wer Giftgas einsetzt, muss mit einer Reaktion rechnen, wird behauptet, dass könnte die uneinige Weltgemeinschaft nicht einfach so hinnehmen, sie müsste sich für die Freiheit einsetzen.

Wessen Freiheit wird da eigentlich verteidigt?

Die Freiheit des Westens über Krieg und Frieden in der Welt zu entscheiden, jenseits aller Beweise?

Geht es um Gerechtigkeit oder geht es um lächerliche Drohungen, ohne eine brauchbare Tatsachengrundlage?

Jeder soll so behandelt werden, wie er es verdient, ist ein alter Grundsatz der Gerechtigkeit in und zwischen Staaten. Die Sicht darauf hat sich oft verändert und die Maßstäbe sind in vielem menschlicher geworden.

Nur im Freund-Feind-Denken sind Rache und ähnlich primitive Motivationen noch präsent. Was wir zwischen Menschen ahnden und bestrafen, scheint uns zwischen Staaten normal. Ein eher schlicht gestrickter amerikanischer Präsident schrieb gesuchte Böse als tot oder lebendig zu fangen aus, erklärte den Krieg gegen die Mächte des Bösen und sprach damit vielen nicht nur seiner Landsleute aus dem Herzen.

Nun soll wieder wider alle Vernunft einer zum Bösewicht erklärt werden, um ihn gerechterweise bombadieren zu dürfen.

Was ist gerecht für uns und warum billigen wir Staaten ein Handeln zu, für das wir jede Privatperson vermutlich lebenslänglich einsperren würden?

Schon die alten Griechen hatten den Grundsatz jedem das seine in ihrem Recht teilweise und jedenfalls taucht er in deren Philosophie auf.

Interessant ist, was Wiki zu dem Begriff suum cuique schreibt, der im alten Preußen eine große Rolle spielte, jenem kulturell vielfältigen Staat, der zweihundert Jahre nach Maria Theresia doch noch mithilfe eines Österreichers den eigenen Untergang besiegelte, der Welt weniger als Staat von Philosophie, Kultur und Gerechtigkeit in Erinnerung blieb, sondern als mörderisch präziser Krieger. Ob dies historische Gerechtigkeit ist, Justiz der Sieger, die es sich einfach machten oder eine logische Folge staatlicher Gewalt ist, kann hier dahinstehen, interessant ist, was aus dem dort so wichtigen Begriff wurde:

"Jedem das Seine, lateinisch suum cuique, ist seit antiken philosophischen Theorien der Moral und Politik ein für die Fassung von Begriffen des Rechts und der Gerechtigkeit, insbesondere der Verteilungsgerechtigkeit, vielfach ins Spiel gebrachtes Prinzip, das abstrakt besagt, dass jedem Bürger eines Gemeinwesens das zugeteilt wird (bzw. werden soll), was ihm gebührt, durch gerechte Güterverteilung etwa. Je nach praktischer bzw. politischer Theorie werden unterschiedliche Präzisierungen vorgeschlagen und wird der Status eines solchen Prinzips unterschiedlich bewertet. Suum cuique war das Motto des Schwarzen Adlerordens und ist heute das Motto der Feldjäger. Im Konzentrationslager Buchenwald stand der Spruch, nach innen gerichtet, auf dem Haupttor.

Suum cuique geht als Grundsatz auf das antike Griechenland zurück. In der Politeia stellte Platon fest, dass Gerechtigkeit besteht, „wenn man das Seine tut und nicht vielerlei Dinge treibt“ (τὸ τὰ αὑτοῦ πράττειν καὶ μὴ πολυπραγμονεῖν δικαιοσύνη ἐστί, to ta autou prattein kai me polypragmonein dikaiosyne esti, IV 433a). Jeder soll das Seine tun, und zwar in Art und Umfang so, wie es seinem Wesen, seinen Möglichkeiten und den individuellen Umständen entspricht. Ergänzend erklärte Platon, dass auch jeder das Seine bekommen und dass niemandem das Seine genommen werden soll.

Über diese Verteilungsgerechtigkeit, die dem Lohn und damit auch dem Besitz zugrunde liegt, äußert sich Aristoteles ausführlich in Buch 5 der Nikomachischen Ethik. Wie er ausführt, handelt es sich dabei um proportionale Verhältnisse, in denen jeweils vier Begriffe zueinander in Beziehung gesetzt sind. Damit jeder das ihm Zustehende erhält, muss sich Person A zu Person B verhalten wie C (das der Person A Zugeteilte) zu D (das der Person B Zugeteilte). „Die Verbindung des A mit dem C und die des B mit dem D ist die Verteilungsgerechtigkeit.“ Ungerechtigkeit und Unrecht sind nach dieser Definition also ein Zuviel oder ein Zuwenig für den Einzelnen. Dabei ist sich Aristoteles des Problems bewusst, das darin besteht, welcher Maßstab für die Feststellung dieser Proportion zwischen A und B gelten soll: „Dass die Gerechtigkeit im Zuteilen gemäß einer Wertigkeit geschehen muss, wird allgemein anerkannt; aber als diese Wertigkeit bezeichnen nicht alle das Nämliche, sondern die Demokraten die Freiheit, die Oligarchen den Reichtum, andere die Hochwohlgeborenheit, wieder andere die Tugend.“

In dem politischen und juristischen Sinne „Jedem das Seine zuteilen“ wird die Formel unter anderem bei Cicero, De legibus 1, 6 19, verwendet, der dort an die Ableitung des griechischen Substantivs νόμος (nómos, Gesetz) von dem Wort νέμειν (némein, zuteilen) erinnert: „Eamque rem (gemeint: legem) illi Graeco putant nomine a suum cuique tribuendo appellatam“ – „Und diese Sache (das Gesetz) sei, wie jene glauben, mit ihrer griechischen Bezeichnung nach dem ‚jedem das Seine zuteilen‘ benannt“.

Auch in Cicero, De officiis I,15, findet sich der Ausdruck: in hominum societate tuenda tribuendoque suum cuique et rerum contractarum fide: ... die Gesellschaft der Menschen aufrechtzuerhalten und jedem das Seine zukommen zu lassen, sowie in der Verlässlichkeit vertraglicher Abmachungen.

In den Institutionen des Kaisers Justinian heißt es ganz zu Beginn, im ersten Teil des Corpus Iuris Civilis: iuris praecepta sunt haec: honeste vivere, alterum non laedere, suum cuique tribuere. – Die Gebote des Rechts sind diese: Ehrenhaft leben, niemanden verletzen, jedem das Seine gewähren (Inst. 1, 1, 3). Bei Ulpian im Corpus Iuris Civilis, Digesten 1, 1, 10, heißt es: Iustitia est constans et perpetua voluntas ius suum cuique tribuendi. – Die Gerechtigkeit ist der beständige und dauerhafte Wille, jedem sein Recht zukommen zu lassen. Dieser Satz wurde dann vom Verfasser der Institutionen, Tribonian als Definition an den Anfang des Gesamtwerkes gestellt.

Auch Hugo Grotius verwandte den Begriff in seiner Eigentumstheorie."

Der Begriff ist wichtig für die Geistesgeschichte und hat auch alle demokratischen Verfassungen bis heute geprägt. Nun stellt sich die Frage, wie ernst nehmen wir ihn heute noch und was macht die faktische Postdemokratie, die sich nur vermeintlichen Notwendigkeiten zu beugen vorgibt, aus ihm.

Der Fall Syrien zeigt wie in einer global und lokal sehr brandgefährlichen Situation leichtfertig mit dem Feuer der Kriegsdrohung gespielt wird und dazu der Gedanke der Gerechtigkeit missbraucht wird.  Es wird die Vergeltung für Untaten, hier die vermuteten Giftgasangriffe der Regierung, als Vorwand für eine nötige und gerechte Reaktion genommen.

Grundsätzlich wäre eine solche Reaktion angemessen, sofern sie den Täter träfe und weiteres Unglück verhinderte. Dies ist jedoch weder noch ersichtlich. Im Gegenteil ist eine schlimmere Eskalation zu befürchten, da die nur lokalen Angriffe aus der Luft oder mit Raketen zwar das System schwächten aber nicht stürzen kann. Die relativ uneinigen Rebellen bieten keine Gewähr für die künftige Sicherheit der Chemie Waffen und wohin ein womöglich kopfloses Syrien stürzte, ist auch unklar. Weiterhin ist noch kein objektiver Beweis für die Täterschaft der syrischen Regierung erbracht, sollten also die Rebellen diese Waffen gewissenlos gegen die eigene Bevölkerung eingesetzt haben, unterstützten NATO Truppen eine mörderische Guerilla, um ein zwar sicher nicht gutes System zu beseitigen, aber denen auf den Thron zu helfen, die den vorgeblichen Grund für ihr Eingreifen lieferten.

Sollte der Grundsatz suum cuique im Denken der Welt noch Gültigkeit haben, wird diese vermutlich falsche Gerechtigkeit eine Quittung erzeugen, deren grauenvolles Ende wir noch nicht absehen können.

Suum cuique mit dann drohenden Chemiewaffen auf dem Golan, in wessen Händen auch immer, weckt furchtbare Erinnerungen an den Missbrauch dieser Philosophie der Gerechtigkeit auf dem Tor von Buchenwald.

Wer in den Krieg zieht, ohne zu wissen, wer Täter und wer Opfer ist, wird die Welt vom Nahen Osten aus in Brand setzen und ein Ende ist nicht in Sicht, wehret den Anfängen!
jt 27.8.13

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