Samstag, 6. September 2014

MerkelNATOmoral

Wer führt Europa in der Krise?
Wer bestimmt den Kurs in Zukunft?
Wer entscheidet, wie mit Fehlern umgegangen wird am Abgrund eines drohenden Krieges?
Wer mäßigt, wo Mäßigung not tut, eskaliert erst wo nötig?

Wüssten wir es, hätten wir die ideale europäische Führungsfigur, künftig wesentlich weniger Probleme mit kollidierenden Egos auf dem Kurs des Selbstbeweises, dahingestellt, ob dies eine typisch männliche Eigenschaft ist.

Habe schon viel über Merkel in dieser Krise geschimpft und ihre unnötige verbale Entgleisung Putin gegenüber, aber nach dem NATO Gipfel von Wales muss ich die deutsche Kanzlerin entschieden loben. Sie hat es geschafft, die Drohungen der Alphatiere im Zaum zu halten und einen gemäßigt bedrohlichen Kurs zu fahren, der Russland die Tür offen hält.

Immer noch ist die Situation verfahren, die NATO spielt sich als Friedensengel auf, auch wenn alle wissen, sie ist es, die diese Krise entscheidend  mitverursacht hat und immer schlimmer macht, sehen wir davon ab, dass die Bedingungen eben schwierig sind, beim Zusammenbruch komplexer Systeme und wenn sich ein Staat, der Schuldner des anderen ist und keine Perspektive hat, diese Schulden zu bezahlen, aus dem gemeinsamen Verband löst, sich dem früheren Gegner zuwendet und durch eine Konfrontation versucht, von seiner Situation abzulenken, wie es die Ukraine relativ erfolgreich in den letzten Monaten tat.

Merkel hat, indem sie das Tor offen hält für Russland, der NATO die Chance gegeben, zu einem vernünftigen, auch ökonomischen Weg zurückzukehren. Die Pfarrerstochter gilt als wenig visionär und sehr sparsam, erwartet diese Disziplin auch von anderen, schätzt keinen Pomp und stapelt lieber tief, eine sehr preußische Art, die sie im Grunde sogar noch sympathisch macht, auch wenn sie die Länder des Südens mit einer sichtbar gegenteiligen Neigung deutlich nervte. Sie gilt als, ist oft ein guter Grund auf der Basis der Vorurteile der anderen geschickt zu agieren.

Sie schätzt die stillere Diplomatie der leisen Töne, bespricht sich in Ruhe und ohne das andere mithören mit den Partnern, um ihrem Kurs zu folgen. Vielen schien sie dabei lange wie ein Stück Schmierseife, irgendwie nicht greifbar. Sie eskalierte den Konflikt verbal auf der einen Seite und befriedete ihn dann durch aussitzen und Beharrlichkeit auf der anderen.

Ohne Fakten über die Motive ihres Handelns und die Hintergründe, wäre jede weitere Behauptung bloße Spekulation und daher entbehrlich, braucht also auch hier, nicht weiter verfolgt werden.

Klar ist aber, was sie tat und wie es wirkte, welche Chancen es jetzt eröffnete und wie sie damit eine große Möglichkeit genutzt haben könnte, Europa vor einem Krieg zu retten und ihre Position als die führende europäische Kraft durchzusetzen. Dazu bedarf es der Zugeständnisse an die Partner, die einen deutlich radikaleren und aggressiveren Kurs wünschten, auch auf die Gefahr der drohenden Schäden oder der endgültigen Eskalation hin, warum sie deutlich machen musste, wie klar sie den Kurs des russischen Präsidenten ablehnt. Dazu kann sie sich nun immer auf ihre schon anfänglichen Zweifel an dessen Zurechnungsfähigkeit berufen, auf die Konsequenz ihrer Regierung hinsichtlich der bisherigen Blockade, bei der sie ihren Wirtschaftsminister sogar mit real schwachsinnigen Interventionen vorpreschen ließ, sehr zum Unwillen der bayerischen Christsozialen aber vermutlich doch, auf lange Sicht hin, strategisch klug, um ihre Position bedacht.

Ihr Vorbild, schrieb es schon häufiger, aber gerade wird es wieder überdeutlich, ist, Katharina die Große - jene russische Zarin aus askanischem und holsteinischem Geschlecht, die Russland wohl noch weiter befriedete und modernisierte als es der große Peter tat, wirkte als Aufklärerin in ganz Europa, gab manchem Kopf der Aufklärung eine Heimat in Petersburg und herrschte doch zugleich völlig rücksichtslos, ließ ihren Mann töten, den sie für schwachsinnig hielt, wofür vieles sprach, aber ihre Machtergreifung wie ihre späteren Verhältnisse und der Umgang mit ihren Liebhabern ist von vielen Legenden umrankt. Sie war eine Philosophin, kritische Denkerin, Freundin von Friedrichs kleinem Bruder Heinrich, den sie noch aus Kinderzeiten vom preußischen Hof kannte, was sie nie vergaß.

Merkel benutzt sichtbar alle Werkzeuge der stillen Diplomatie und hat, wie es gerade aussieht, in einer Notsituation noch einmal die Kuh für die NATO vom Eis geholt, die sich sichtbar in einer Weise vergalloppierte, die so schädlich wie gefährlich war, denn europäischer Frieden ist nie dauerhaft gegen Russland zu halten, nur mit. Dabei zu beachten, dass Putin im Land auch deshalb so beliebt ist, weil er gut und erfolgreich wirtschaftet, den Menschen Sicherheit und eine Perspektive gibt nach den sehr unruhigen Zeiten des Umbruchs nach Auflösung der UDSSR, wird wichtig sein in den Schuldenstaaten des Westens, die mit viel Geld spekulieren und in immer größere Abhängigkeit von den Banken geraten, die es zu zerschlagen gilt in Kreditinstitute und Invetmenthäuser getrennt.

Wer keine Konfrontation der Blöcke will, wird auf Kooperation setzen müssen. An dieser Konfrontation haben sicher einige ein Interesse, die dadurch ihre persönlichen, wirtschaftlichen Interessen gefördert sehen. Dumm nur, dass es die Blöcke nicht mehr gibt, Russland wie andere auch, ein Partner auf dem Weltmarkt ist und Angst schon immer der schlechteste Ratgeber der Politik war.

Die Kanzlerin scheint diese Prämissen nun auch oder doch verinnerlicht zu haben, anders als es auch mir lange schien, sie verhielt sich beim NATO Gipfel als eine Meisterin der stillen Diplomatie, die einem Metternich zur Ehre gereichte und wir können sie in Ruhe in der Reihe der großen europäischen Verhandler sehen von Metternich bis Talleyerand, von Stresemann bis Briand - sie ist kein Bismarck, keine die knurrt und bellt und sich nach Wutanfällen zurückzieht, die Kanzlerin erinnert an die großen Verhandler und Diplomaten der europäischen Geschichte und das ist auch gerade sehr gut so, in dieser Lage kommt es genau darauf an.

Die Kritik an ihr, dass sie als Regierungschefin postdemokratisch wirkt, ihr Stil immer zu Lasten der Demokratie geht, weil sie lieber im Hinterzimmer Verträge aushandelt und Lösungen sucht, lieber solche sucht, die erst auf den zweiten Blick wirken und sich Zeit nimmt dafür, bleibt bestehen, aber es ändert nichts daran, dass sie in dieser Situation scheinbar die richtige Frau im richtigen Amt ist, die genau das schafft, was ein uneiniges Europa lange nicht schaffte, in dem sie still führt und mit Chancen verhandelt.

Klar zeigt sie Russland Grenzen, aber sie weiß auch, es geht auf Dauer nicht ohne oder gegen, viel zu teuer, viel zu schädlich für ihr Land und ohne eine dauerhafte Perspektive des biedermeierlichen Friedens, wie ihn der Wiener Kongress hervorbrachte, mit allen schädlichen Folgen für die Demokratie - aber es geht ihr auch nicht darum, als größte europäische Demokratin in die Geschichte einzugehen, sondern als eine, die bewegt und etwas erreicht und auf diesem Gebiet ist sie gerade wieder sichtbar erfolgreich.

Es bleibt das Problem der Postdemokratie und der Verlagerung der wichtigen politischen Entscheidungen wieder in die Hinterzimmer der Macht, was bei ihr gut sein kann, bei anderen schnell zu Mißbrauch führt, Kontrolle schwerer macht. Sie schaut auf das Ergebnis und es geht nur darum, dass, was rauskommt, gut für ihr Volk und Europa ist, sie noch eine gute Figur dabei macht. Nicht zu kritisieren in der Sache, in der Methode leider Teil eines europäischen Systems, das sich in immer engeren Bahnen bewegt und in dem nicht mehr politisch sondern ökonomisch entschieden wird, ohne das es dabei genügende Chancengleichheit gäbe.

Es ist unklar, für welche Moral Merkel in der NATO steht, aber es ist deutlich, dass sie für das Ziel des Friedens und seines Erhalts viel Kraft einsetzt und damit Europa von kurzsichtigen Dummheiten abhielt und eine langfristige Perspektive eröffnete, die wieder zur Partnerschaft führt, dafür gebührt der deutschen Kanzlerin im Sinne Europas viel Lob, wenige ihrer Vorgänger haben so strategisch klug gehandelt.

Die Frage aber, die sich nun stellt ist, quo vadis Europa und Deutschland? - wie geht es weiter und wo führt es hin und was wird aus der Demokratie, wie ist diese sachlich sehr erfolgreiche Politik der Hinterzimmer Diplomatie mit einer demokratischen Zukunft zu vereinen, welche Strukturen braucht es künftig, den Frieden zu halten - bisher hat Merkel am Ende dieser Krise das Heft in die Hand genommen und Europa und die Welt sehr klug und strategisch geführt. Sie hält das Ruder aus ihrem Netzwerk. Als Große, wie ihr Vorbild Katharina wird sie in Erinnerung bleiben, sofern es ihr gelingt, diese traditionelle Diplomatie, wie sie dem Wiener Kongress entsprach, in die Formen der Demokratie zu übertragen und dort zu institutionalisieren, da die an Personen gebundene  Herrschaft und der an sie gebundene Erfolg von Verhandlungen keine Zukunft hat, es braucht eine feste Form von Dauer. Schafft sie das, war sie groß, gelingt es ihr nicht, oder versäumt sie es ihre Erfolge in demokratischer Form zu institutionalisieren, hat sie nur etwas großes geschaffen, was aber gerade mal auch nicht schlecht ist, weil es keiner der anderen wirklich auf die Reihe bekommen hat, flapsig gesagt. Gut gemacht Mutti, nun muss es eine Form finden und institutionalisiert werden.
jt 6.9.14

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