Montag, 22. Juni 2020

Blaublütig

Was heißt blaublütig und woher kommt dieser Ausdruck, welche Haltung steckt dahinter und was für ein Menschenbild?

Verwendet wird der Ausdruck für gewöhnlich vom oder für den Adel, heute oft eher spöttisch. Er besagt, dass jemand aufgrund seiner adeligen Abstammung von edlerer Geburt sei. Rechtliche Auswirkung hat das in der Republik nicht mehr, wo vor dem Gesetz alle Menschen von Geburt an gleich sind. Praktische Bedeutung der Zugehörigkeit zu einer gesellschaftlichen Klasse hat es in der klassenlosen Gesellschaft, auch wenn sich diese Grenzen verwischt haben und sie verschwimmen. In Monarchien kann es immer noch die Zugehörigkeit zu einer Gruppe von Herrschern oder Repräsentanten bedeuten, die von Geburt her bestimmte Privilegien haben.

Doch woher kommt diese Unterscheidung? 

Die Kirche hatte mit der Unterscheidung des heiligen Blutes Jesu und der Heiligen und dem gewöhnlichen unreinen im Leben, die Basis für die Ungleichheit gelegt. Auch wenn es in der Kirche primär auf die geistige Nachfolge ankam, wurde für die königlichen Familien die gleiche Heiligkeit des Blutes angenommen wie für Jesus und seine Nachfolger. Die Zweiteilung des Blutes in gutes und schlechtes bot die Basis zur Rechtfertigung sozialer Unterschiede.

Der Begriff blaues Blut leitet sich von der vornehmen Blässe derjenigen ab, die von der Feldarbeit verschont waren. Vermutlich kommt der Ausdruck aus dem maurischen Spanien, wo in Kastilien für die von den germanischen Westgoten abstammende Oberschicht der Ausdruck azurblaues Blut verwandt wurde. Deren blasse Haut mit durchschimmernden blauen Adern unterschied sich deutlich von der dunkleren der Einheimischen und der Mauren. Nach der Vertreibung der Mauren in der Reconquista wurden die Gesetze zur Reinheit des Blutes eingeführt, mit denen sich der kastilische Adel deutlich von Juden und Mauren abgrenzen wollte, deren Blut nicht in ihren Adern floß.

Die Kronjuristen der Königshäuser, die damals meist Theologen auch waren, leiteten aus der Lehre von den zwei Körpern Christi, die schon 451 auf dem Konzil von Calcedon von der Kirche festgeschrieben wurde und besagte, dass Jesus zwei Körper hat, einen sterblichen menschlichen und einen unsterblichen göttlichen, ab dass auch Könige zwei Körper hätten und als Regenten und in ihren Entscheidungen unsterblich seien, mit dem real sterblichen Körper, von dem auch der tiefste mittelalterliche Glaube, die Könige nicht befreien konnte, mussten sie in der Realität noch vorlieb nehmen.

Dabei wurde schon im 13. Jahrhundert die patrilineare Geburtslinie heilig gesprochen, wonach der älteste Sohn vom Vater erbt und damit die Dreieinigkeit von Vater und Sohn abgebildet wurde. Der Heilige Geist wurde im königlichen Blut gesehen, was damit sakral auch war, womit klar wird, warum in der französischen Revolution so viel Blut fließen musste, um sich von der Klammer des Heiligen und der höheren Macht zumindest scheinbar zu befreien.

Als Zeichen der Reinheit des Blutes wurde die Schwertlilie zum Wappenzeichen der französischen Könige, die angeblich schon Chlodwig I. nach seinem Übertritt zum Christentum 496 infolge des Sieges in einer Schlacht, bei Zülpich, falls es jemand interessieren sollte, spielt aber im weiteren keine Rolle mehr, verwendete. Ab 1376 war die Lilie, die eigentlich eine Schwertlilie ist und also botanisch eine Iris aber das kann bei so langer Tradition dahinstehen, Teil des Wappens des französischen Königshauses und war Zeichen der Mitglieder des Hauses Frankreich, die als besonders rein galten, sich auf die jungfräuliche Zeugung zurückführen, gerne seine irgendwie Abstammung von den Merowingern betonte, die sich wiederum auf Maria Magdalena bezogen und damit als quasi Kinder Jesu sich direkt dem heiligsten Blut verwandt sahen, was bis 1789 zur Legitimation ihrer Herrschaft genügte, vielleicht in der Andeutung auch erklärt, warum ein Henry IV. am Ende, nach mehrfacher Konversion und gegen seine Überzeugung zum Katholizismus konvertierte, weil das französische Königtum, so wild der Herrscher auch real im Falle Henrys im Land herumvögelte, sich von heiligem Blut ableitete und damit der Herrschaft eine besondere Heiligkeit gab, was auch die enge Bindung an Rom, was nicht ohne Grund zeitweise in Avignon Asyl fand, erklären kann.

Zwar hat die in diesem Geist betriebene Vertreibung der Hugenotten durch Ludwig XIV., den Enkel Henrys, den Untergang Frankreichs und den Aufstieg seiner Nachbarn beschleunigt, doch war dies in der Begründung einer heiligen Herrschaft letztlich konsequent. Die französische Revolution und die ihr folgenden Blutbäder beider Seiten waren am Ende die Quittung auch für die konsequente Heiligkeit, die in der aufgeklärten Gesellschaft keine Basis mehr fand. Viele seltsame Gewohnheiten der französischen Gesellschaft erklären sich auch aus dieser Tradition und den versuchten Brüchen mit ihr.

Im Gegensatz zu Frankreich, in dem der königlichen Familie gegen Widerstand des Adels erlaubt wurde, Adelsprädikate zu verleihen, beziehungsweise zu verkaufen, da dies ein deutlicher steuerlicher Vorteil war, von gewöhnlichen Abgaben befreite, was eine gute Einnahmequelle der Könige wurde, bestand der blasse spanische Adel darauf, dass dies unzulässig sei, um das Blut unter sich rein zu halten. Wer sich Bilder spanischer Adeliger oder Granden insbesondere aus der Zeit der engen verwandtschaftlichen Verbandelung mit Österreich seit Karl V. anschaut, sieht wohin diese Inzucht führte. Das französische Haus Valois starb nicht ohne Grund an der Bluterkrankheit aus, die auch im Hause Romanow starke Spuren hinterließ, was dem Hause Bordeaux mit Henry das Tor zum Thron öffnete.

Wie lange der europäische Hochadel in seiner zusätzlich teilweise konfessionellen Beschränkung der Paarung ohne Revolution noch überlebt hätte, bis die Inzucht noch gravierendere Folgen gehabt hätte, wissen wir nicht. Sogar das englische Königshaus, das Charles zunächst nicht gestattete seine Camilla zu heiraten, warum das Drama mit Di seinen Lauf nahm, hat für William die Tore zur nicht standesgemäßen Hochzeit mit Kate geöffnet, was immer aus dem dortigen Königshaus künftig wird, wäre zumindest die Nachfolge schon gesichert.

Wie Williams Bruder Harry durch seine anderweitige Hochzeit und die nun folgenden Entscheidungen zeigte, ist königliche Familie auch nur ein Job, den du auch kündigen kannst, wenn es dich nervt, wie schon der Vorvorgänger der Queen, der sich für die Liebe zu einer Amerikanerin und gegen die Krone entschied, die Elisabeth II. nun schon am längsten mit großer Würde trägt, weil sie sich dem Amt verpflichtet fühlt.

Die königliche Würde galt als eine Hoheit von Gottes Gnaden, wie sich der Adel meist auf seine höhere Bestimmung berief, um seine Privilegien zu rechtfertigen, die ihm nicht durch Qualifikation sondern Geburt zufielen. Das ist gut für den größeren Teil der auch nicht überdurchschnittlich qualifizierten, hier wie sonst unterscheidet sich der Adel nicht vom Durchschnitt der Bevölkerung, Genies sind selten, Durchschnitt herrscht vor, schlecht für die wenigen überdurchschnittlichen. Das Haus Preußen mit seinem einen Genie Friedrich, der sich noch dazu nicht fortpflanzte steht da für viele. 

Was sie nur überdurchschnittlich gut lernen und beherrschen sind Formen und die Contenance zu wahren, wie es heute noch an diplomatischen Schulen gelehrt wird, um die Verständigung bei Hofe zu erleichtern, nicht das persönliche mit der Aufgabe zu vermischen, wozu aber auch verschiedene Mitglieder alter Familien eine unterschiedliche Befähigung haben. Denken wir etwa an Ernst August v. Hannover und seine unrühmlichen Schlagzeilgen anlässlich der Expo wie zu anderen unpassenden Gelegenheiten, zeigte sich dies zur großen Freude der Regenbogenpresse, der dagegen ein Musterbeispiel an Contenance und Beherrschung, die Gräfin Dönhoff, nie auch nur eine Schlagzeile in ihrem langen Leben lieferte, was die größere Kunst ist, als unangenehm aufzufallen.

Die Lehre vom blauen Blut hat sich erledigt, auch Privilegien von Geburt sind in der Republik nicht mehr vorhanden. Ob es einen Adel des Kapitals gibt, könnte eine spannende Frage sein, die aber mangels sonstiger Verbindungen dabei nicht wirklich dazu taugt, langfristige Antworten zu liefern. Es gibt Neureiche, und alte reiche Familien, Superreiche, die Milliarden in wenigen Jahren verdienten, damit aber selten je auch Kultur gewannen, sondern nur viel Geld haben, was ein privilegiertes Leben erleichtert, aber nichts damit edler oder kultivierter macht. Manch verarmter Adel zeigt deutlich mehr Kultur etwa als viele Neureiche gerade aus dem ehemaligen Ostblock, denen es nicht selten auch am kulturellen Bezug dazu fehlt, insofern dort die Oberschicht lange vertrieben wurde.

Es gibt keinen biologischen Nachweis, der auf irgendeinen Unterschied im Blut hindeutet, sehen wir von dem erhöhten Aufkommen gewisser Erbkrankheiten in relativ inzüchtig heiratenden Familien ab, bei denen sich ein hoher Implexfaktor ergibt, der sagt wie groß oder weit die Verwandtschaft in der vorigen Generation war. Sofern es mehrere Formen der Verwandtschaft gibt und häufiger Hochzeiten unter Vettern und Basen 1. Grades, scheint das Risiko dafür erhöht. Ob dies bereits zu einer Degeneration führte, lässt sich nicht nachweisen, zumindest gibt es bestimmte statistisch auffällige Besonderheiten, die nicht unbedingt für das edle im Adel sprechen sondern eher für eine gesunde Mischung, um widerstandsfähiger zu machen, auch zum Preis der vornehmen Blässe.

Wie gut oder schädlich es für eine Gesellschaft ist, eine Elite in der Führung zu haben, die sich unter sich fortpflanzt, können wir vermutlich erst beurteilen, wenn die heutige Regierungsform durch Parteien und in Parlamente gewählte Repräsentanten als alleinige legitime Herrschaft so alt ist, wie die vorige wurde, was damit noch einige tausend Jahre Zeit hat.

Ob Rom ein Beispiel ist, was aus vielfältigen Gründen in der Kaiserzeit unterging und als Republik aufstieg, könnte interessant sein, besonders, wenn wir das sehr liberale Denken des römischen Bürgertums in der Spätzeit der Republik betrachten, bevor sich Cäsar an die Macht putschte.

Schauen wir in die städtischen Republiken der Hansezeit, sehen wir dort, wie Thomas Mann es so meisterhaft in den Buddenbrooks schilderte, eine zwar nominell republikanische Herrschaft ohne Adel, aber dafür durch alte reiche Familien, die wie der Adel regierten, deren Privilegien nur auch mit dem ökonomischen Erfolg verbunden waren, Auf- und Abstieg unterlagen, ganze Regionen und Reiche prägten wie auch die Fugger von Augsburg.

Können Parteien eine solche Elite bilden und ausbilden oder gerade nicht, fragt sich, wer die Traditionen in der Republik betrachtet. Braucht es noch gewachsener Eliten und ihres seit Generationen geprägten Benehmens oder ist das in der schnelllebigen Demokratie überflüssig geworden?

Blut und Rasse taugen nach heutigem Wissen sicher nicht mehr zur Unterscheidung der Menschen und zu ihrer Privilegierung. Das ist auch gut so aber gibt es noch etwas, was zählen darf außer konkreter Leistung und vergänglicher Beliebtheit auf Wellen der Mode?

Braucht es alte gewachsene Strukturen, in die wir hineinwachsen oder können wir heute alles lernen, wenn wir wollen und können?

Kann uns ein System, das sich tausende von Jahren bewährte hat, noch etwas lehren oder haben wir die alten Zöpfe abgeschnitten und überwunden, lohnt nicht mal die Erinnerung mehr?

Je nachdem, wie hier die Antworten eines jeden ausfallen, wird sich zeigen, wie weitsichtig und erfahren diejenigen sind. Zumindest stand es noch keiner Generation gut, sich für der Weisheit letzten Schluss zu halten, doch gab es wohl auch nie eine, die es nicht versuchte.

jens tuengerthal 22.6.20

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