Der folgende Text schließt an den gestrigen zu Freiheit und Liebe an, ist aber schon acht Jahre älter und wurde im Jahr 2005 als Wettbewerbsteilnahme im Schillerjahr verwendet und dort angemessen ignoriert - viele Fragen passen zur aktuellen Diskussion des Freiheitsbegriffes und darum scheint die Wiederveröffentlichung trotz der zugegeben etwas verstiegenen Sprache angemessen und vielleicht sogar geboten, denn wohin steuert unsere Freiheit im postdemokratischen Zeitalter des virtuellen Dating?
Die Freiheit — als eine schöne Kunst betrachtet?
Vor leeren Blättern saß Schiller.
Nichts stand zwischen ihm und seinen Worten, als ein mechanischer Vorgang, den
er vollkommen verstand. Auf meinem Bildschirm aber bilden sich die Buchstaben
nur ab, sind Produkt komplexer Technik, die ich nicht verstehe. Meine Befehle
werden durch geheime Codes gesteuert, die ich nicht kennen darf. Schriebe ich
wieder von Hand, verstünde ich noch lange nicht, welche Teile meiner neuronalen
Netzwerke dazu ihre Spannung sandten. Ich weiß nicht, was ich tue und soll mich
über die Freiheit versuchen, künstlerisch sein.
So ich Willensfreiheit annehme, –
gewagte Hypothese, zugegeben, aber was bleibt mir? – ist zumindest die Willensbildung
frei. Ist Bedingung für Kunstschaffen der Schöpfungswille, wäre ohne Freiheit
keine Kunst mehr. Dem Begriff nach nicht begrenzbar, bliebe Freiheit ohne Kunst
denkbar, wüsste jedoch nicht, wie schön Sein bliebe. Die Unbestimmbarkeit machte
die begrenzte Freiheit zur Unfreiheit.
Im Essay soll ich mich an der
Freiheit versuchen und „eine Architektur aus Bruchstücken“ riskieren. Dies
entspräche, wie heutige Baukunst, dem Dogma der Funktionalität, hätte, ohne
alles Schöne, zumindest einen Zweck. ‚An’ soll ich mich versuchen lassen. Will
ich geplant distanziert bleiben, müsste ich also über ihr stehen. Unfrei erreiche
ich diesen Punkt gar nicht mehr. Alles Weitere ist eigentlich Unsinn, was noch
nichts über dessen ästhetischen Wert sagt.
Bin ich frei dies zu tun, oder
ist es gerade eine schöne Kunst, die Illusion aufrecht zu erhalten, es gäbe
eine Entscheidung und der Weg zu ihr wäre Teil eines schöpferischen Prozesses?
Der durch Verlockungen bestimmte,
ist nicht mehr frei. Wer den Spuren der Logik folgt, schiede hier bereits
diejenigen aus, die im Bewusstsein dessen schrieben und eine Beeinflussung
nicht ausschließen können.
Einsam und leer würde es in den
urteilenden und anonymisierenden Amtsstuben. Einzig die Gutachter, deren Siegel
den Geprüften ihre Bewusst- und Ahnungslosigkeit beglaubigt, mehrten sich. Wo
einer die staatlich geprüften Freiheitsvoraussetzungen bejaht, wird es zehn
andere geben, die sie verneinen, von denen sich wiederum leicht die doppelte
Anzahl findet, die beide widerlegen. Entsprechend ihrer Wertigkeit werden sie
von den Stubenbewohnern geordnet und zur Entscheidung herangezogen. Bei
Gleichwertigkeit können schlichte Mehrheitsentscheidungen helfen, falls sich
diese nicht finden, bleiben als letzte Möglichkeit noch Lose. Sie sind mit
ihrem zufälligen Heilsversprechen die wahre Religion unserer Gesellschaft.
Die wissenschaftliche
Freiheitsbeurteilung beschäftigte nicht nur Philosophen, Theologen und leider
auch Juristen, sie zöge auch ganze Herden von Doktoranden an. Noch keine
Erwähnung fanden die stillen Zuarbeiter der geistigen Eliten. Von den
Hilfswissenschaftlern, über die Bibliothekare und die Bediensteten der Vervielfältigung
hin zu den Wartungsfirmen, denen die Pflege der überforderten Rechner obläge.
Ganz zu schweigen von den Folgeaufträgen für die Bauwirtschaft, die Ersatz für
die nun permanent überfüllten Ämter schüfe.
Beschäftigung wird für viele, in
wieder von Nürnberg aus geprägten Zeiten, als Grundlage von Freiheit definiert.
In diesem Sinne spricht das Wohl der Mehrheit für die Teilnahme. Wenn es auch
sinnlos ist, der Freiheit einen Rahmen zu geben, sozial scheint es. Betrachte
ich die Freiheit einfach nur als eine schöne Kunst, fällt mir die Beschäftigung
mit dem Absurden leichter. Die Frage nach dem ästhetischen Wert des Sozialen
und Demokratischen verbietet sich zum Glück im engen Korsett öffentlicher
Meinung. Sie gliche der, nach dem volkswirtschaftlichen Bilanzwert Behinderter.
Wozu sich auch keiner mehr äußert.
Anders Schiller, der in den
Briefen über die ästhetische Erziehung des Menschen noch vom objektiv Schönen
in der Kunst sprechen konnte und zum politischen Mehrwert der Kunst
feststellte: „In der Tat muss es Nachdenken erregen, dass man beinahe in jeder
Epoche der Geschichte, wo die Künste blühen und der Geschmack regiert, die
Menschheit gesunken findet und auch nicht ein einziges Beispiel aufweisen kann,
dass ein hoher Grad und eine große Allgemeinheit ästhetischer Kultur bei einem
Volke mit politischer Freiheit und bürgerlicher Tugend, dass schöne Sitten mit
guten Sitten, und Politur des Betragens mit Wahrheit desselben Hand in Hand
gegangen wäre. “
Was die von Demagogen für
Mehrheiten gehaltenen Massen hinter vorgehaltenen Händen raunen, möge im Dunst
stecken bleiben, der schon die Gründe ihrer Urteilsfindung verhüllt. Kaum wage
ich, der ich nicht über schmidtschen Medienruhm und Schutz verfüge, noch einmal
den Jubilar zu zitieren. Sein Alter gibt ihm jenseitige Unantastbarkeit, möge
sie die Sittenwächter beruhigen: „In den niedern und zahlreichern Klassen
stellen sich uns rohe gesetzlose Triebe dar, die sich nach aufgelöstem Band der
bürgerlichen Ordnung entfesseln und mit unlenksamer Wut zu ihrer tierischen
Befriedigung eilen.“
Fassungslos höre ich den
Revolutionär, der mit Räubern und Flucht nach Mannheim noch für die Freiheit
litt – dahingestellt, ob Mannheim allein Grund genug gäbe – sich versteckte,
den großen Kant nach mehrjähriger Lektüre zu bezweifeln wagte. War er nur noch
der salonfähige Dichterheld der Plattitüden, der sich im Zitateschöpfen erging?
Seine Adelung, das Wesen wohl tiefer prägend als heutige
Bundesverdienstkreuzung, könnte ihm, klassenimmanent, den Blick getrübt haben.
Weiterlesend wird der Reaktionär zum
Nihilisten, der zwar in ständischen Vorurteilen gefangen, doch seiner sich
aufgeklärt gebenden Zeit, die sich metrisch reimend in der Sinnsuche erging,
weit voraus, sich zur Hoffnungslosigkeit bekennt: „Auf der andern Seite geben
uns die zivilisierten Klassen den noch widrigern Anblick der Schlaffheit […],
die desto mehr empört, weil die Kultur selbst ihre Quelle ist. Die Aufklärung
des Verstandes, deren sich die verfeinerten Stände nicht ganz mit Unrecht
rühmen, zeigt im Ganzen so wenig einen veredelnden Einfluß auf die Gesinnungen,
daß sie vielmehr die Verderbnis durch Maximen befestigt. Wir verleugnen die
Natur auf ihrem rechtmäßigen Felde, um auf dem moralischen ihre Tyrannei zu
erfahren, und indem wir ihren Eindrücken widerstreben, nehmen wir unsre
Grundsätze von ihr an.“
Das korrekte Verständnis dieser idealistischen
Worte tönt es aus den Fluren der Sprachforscher, jenen mit staatlicher
Deutungshoheit, lautet anders. Die Philosophen stören sich am Wirbel der
Epochen und Schulen, halten den Missbrauch überkommener Begrifflichkeit für
normwidrig. Die Strafbarkeit solchen Tuns wird schnell zur allgemeinen Forderung,
der Juristen die Grundlage liefern: Wer ohne Diplom Hoffnungslosigkeit benennt
und dabei überkommene Begrifflichkeiten vermengt, vergeht sich an der Würde des
Jubilars, gefährdet den Rechtsfrieden, ist Unruhestifter erster Ordnung, der
entweder öffentlicher Lächerlichkeit preisgegeben, oder der Wortlosigkeit überantwortet
wird.
Was fürchterlicher ist im
Angesicht der grausamen Methoden öffentlicher und privater Lächerlichkeit,
scheint mir offensichtlich. Schwerer und schwerer fällt das Schweigen aber in
Anbetracht der mit den Worten verbundenen Mission und ihrem wachsenden Gewicht.
Wie wenig bleibt dem an Würde, der sich angesichts täglichen Irrsinns nicht
mehr hörbar zur Hoffnungslosigkeit bekennen darf?
Könnte ich öffentlich nicht alles
sagen, auch wenn ich mich lächerlich machte, es bestünde die Aussicht, die
Hoffnungslosigkeit weiter zu verbreiten. Welch hehre Vision! Als Botschafter
des Endes widme ich die Lächerlichkeitsmaschine zu einem Werkzeug der
Aufklärung um. Warum soll ich länger verteufeln und flüchten, was ich doch in
den Dienst der Sache stellen könnte? Das Blatt wendet sich. Natürlich bedeutet
es zunächst auch Kompromisse. Ruhig und gelassen auf wiederholte dumme Fragen
antworten, bei durchschnittlich drei Sendungen am Tag müsste nur knapp über
tausendmal im Jahr dasselbe wiederholt werden. Lächerlich gemessen an globalen
Rosenkränzen oder fernöstlicheren Mantras.
Es geht nicht um mich, sondern
nur um die Sache, für die ich mich nicht dem Zeitgeist beuge, sondern ihn mir,
durch innere Distanz, Untertan mache. Vielleicht, ganz streng geprüft, fände
sich auch eine Spur von Eitelkeit, denn wer will nicht gefallen, aber eigentlich
ist auch sie der Hoffnungslosigkeit dienlich, also letztlich gut. Ist dieses
Vorurteil gegenüber der Eitelkeit nicht ein Anhängsel christlicher Gängelung?
Die Mehrheit wird den steinigen Weg bereitwilliger gehen, wenn er ihr durch
attraktive Repräsentanten dargeboten wird. Sie sollen sich identifizieren können
mit mir als ihrem Helden des Untergangs.
Härter noch als Houllebecq in
seinen Elementarteilchen oder Lem im futurologischen Kongress werde ich ihre
Träume zertrümmern. Der Weg zur Freiheit führt über die Hoffnungslosigkeit,
vermuten schnell die unbelehrbaren Anhänger positiven Denkens, die gerade neu
neurolingual programmiert wurden und nun jede Prüfung als optimierbare Chance
betrachten. Zu schnell. Erst die völlige Kapitulation vor der aussichtslosen
Sinnlosigkeit allen Seins gibt in dem Moment, in dem der Schritt vom Leben zum
Tod für das „Ich“ keinen Sinnverlust mehr bedeutet, einen ersten Blick auf die
Freiheit. Dies aber verkünde ich euch aus meiner saddamschen Grube, in die ich
mich, vor der globalen Berieselung flüchtend, verkroch und aus der ich die Welt
mit meinem Unflat beriesele.
Immer wieder wird die Sinnsuche
als hehrer Gralsweg mutiger Ritter auf dem Weg zum „Ich“ beschrieben. Dabei ist
sie bloß ein reaktionärer Reflex derer, die im Schattenkabinett der Gruppenhöhle
Führer sein wollen. Ihr Anpassungsbedürfnis ist noch immer höher als ihr
Erkenntnisdruck. Einer ist so wenig frei wie der andere. Alle hängen sie ihr
Sein an Komponenten außerhalb ihres Selbst, jenseits ihrer
Entscheidungsbefugnisse.
Eine Gesellschaft der Hohlköpfe,
die fertige Antworten als Konsumgut will, feiert sie als Helden, die ihren
Traum von der erklärbaren Welt aufrechterhalten helfen. Sie sind erwünscht, so
abstrus ihre Ansichten oder konstruierten Götter auch sein mögen, werden als
Teil des Rechtsstaats gesehen, der sich durch die übersinnliche Inbezugnahme seiner
einzig tauglichen Begründung beraubte, die Recht als auf Vertrag oder Diskurs
beruhend definiert. Wer den vernünftigen Menschen voraussetzt und zur
Verantwortung zieht, darf sich nicht gleichzeitig auf Hokuspokus stützen, der
seinen konstitutiven Charakter nur aus seiner Tradiertheit gewinnt, sich in
seinen Gründen aber von keinem anderen Aberglauben unterscheidet. Die
Grausamkeit der Religionsverächter im vergangenen Jahrhundert taugt zur
Rechtfertigung des Absurden im Staat nichts.
Es ist keine Kunst, sich frei zu
gerieren, solange der Staat über meine Freiheit wacht, sie als Gut im Rahmen
seiner beschränkten Anschauung garantiert. Langweiliges Selbstverständnis, in
dem die Sinnsucher der Beschränkung bedürfen, sich noch frei zu fühlen.
Hoffnungsfroh stürzten sie sich in den Kampf gegen den Terror, er gab ihrem
Dasein neuen Sinn. Die folgenden Beschneidungen ihrer Freiheit bejubelten sie
als Gewinn an Sicherheit. Eine Erfahrung, die das Fundament meiner
Hoffnungslosigkeit so festigte, dass ich den Irrsinn dankbar betrachte.
Zerstören sie doch mit ihrem Handeln jede, noch so kleine Aussicht auf
Besserung.
Keiner verneinte Sinn und
Kollektive konsequenter als Max Stirner, dessen Werk sogar der heilige Habermas
als absurde Raserei bannte. Dass er Karl Marx, der ihn nach langen
Ausführungen, doch keiner Kritik für würdig befand, zu seinem verhängnisvollen
historischen Materialismus inspirierte, sollte unstrittig sein. Die Stimmen,
die in Nietzsche nur noch den Plagiator Stirners sehen, mehren sich. Dass er
unbekannt blieb, widerlegt die Gefährlichkeit seiner Thesen nicht. Ihm ging
nichts über sich und so leitet er seinen Einzigen schon damit ein, dass er seine
Sache auf Nichts gestellt habe und dass seine Sache weder das Göttliche noch
das Menschliche ist, sondern „allein das Meinige“. Er definiert es, trotz aller
konstruktiven Verneinung hier Kind seiner Zeit, als schöpferisches Nichts, aus
dem er selbst als Schöpfer alles schaffe und ausdrücklich nicht als Nichts im
Sinne der Leerheit. Die von Stirner erstrebte „Destruktion der Entfremdung“ und
die mit ihr verbundene Rückkehr zur Authentizität hätte wohl die „Zerstörung
der Kultur, die Rückkehr zum Tiersein“ zur Folge, ein Schritt in die richtige
Richtung scheint es, einer mit dem sich die Einsamen gemeinsam machen können.
Aber der Schein täuscht. Stirner blieb Ziel orientiert, wollte das „Jenseits in
Uns“ überwinden, sah sich als Befreier von Jahrtausende alten religiösen
Fesseln.
Es bleibt einsam, und die
Aussichten auf Besserung aus dem Geist der Spaßgesellschaft sind schlecht. Gebe
ich mich, des Themas wegen, dem totalen Verfall hin, lasse alle Hoffnung
fahren, beende mein Leben ohne Grund, eher zufällig, nicht und werde endlich
von diesem Elend völlig erdrückt, verharre ich wortlos depressiv vor der Frage,
was es heißt, die Freiheit als eine schöne Kunst zu betrachten, erscheint am
Horizont ein Licht: War jemals etwas etwas wert?
Es kann dahinstehen, wenn die
Freiheit schon vorher verendete, alle Worte und Gedanken nur notwendige Folgen
der Schwingung meines Hirns sind. Der Wolf und seine Sänger stimmen das alte
Lied vom Determinismus neu an, verkünden, im Besitz vollständiger Landkarten zu
sein. Sie verorten alles im elektromagnetisch verstandenen Hirn, das seiner
Schuldkomplexe ledig, logischen Strukturen folgend, schaltet. Ist es nur noch
eine Frage der Zeit, bis wir nicht nur den Sitz überflüssig gewordener Gefühle
bestimmen, sondern diese mit geringst möglichem Aufwand auch behandeln und
nutzen können?
Nicht Feuilletonseiten füllende kryptische
Buchstabenfolgen sind mehr aktuell, viel kleiner als die sie verbergenden Säuren
sind die allumfassenden neuronalen Netzwerke und die sie verknüpfenden Synapsen.
Was sie wollen, geschieht. Sie sind die zwergenhaften Vorstandsvorsitzenden
unseres Seins, ohne das wir wüssten, was sie verdienen und ob sie überhaupt
etwas wollen und also wir, deren wichtigste Teile sie doch sind.
Erledigt sich die Frage nach dem
Bewusstsein des Neurons mit der Verortung desselben in uns, oder kann eine
Spannung unser Sein zu dem machen, das dies fragt, ohne zu wissen, was es tut?
Ich weiß es nicht.
In dieser Ahnungslosigkeit höre
ich, leibnizbeschwerte Schönheit aus Heidelberg andere Töne anstimmen. Wie es den
Schönen entspricht, verwirrt sie die simplen Muster männlicher Logik, weist die
Minne der Kartografen zurück. Sie bestreitet den einen Ort für das Eine, wie
den anderen für das eben Andere. Bezweifelt Orte überhaupt. Lässt uns in der
Schwebe, in der wir für diesen oder jenen Zweck anderen Halt finden müssen. Das
Zusammenspiel der vielen aus je anderen Quellen brächte uns Wissen um uns.
Auch wenn sich die Beiden mit Elfen
jüngst gemeinsam manifestierten, die Beschränktheit ihrer Möglichkeiten
bekannten, sich auf dem Stand von Jägern und Sammlern wähnten, was die Regeln
betrifft, nach denen das Gehirn arbeitet, die biblisch nachgewiesene
Überlegenheit Evas in Fragen der Erkenntnissuche wird in der Gegenüberstellung deutlicher.
Erklärt uns unvollständigeren XY-Trägern in Bildern, die unserem
Verständnishorizont entsprechen, die Berechtigung weiblichen Führungsanspruchs
im Informationszeitalter. Folgen wir dem weiblichen Vorschlag, der das Gehirn
weniger bestimmt als flexibel auf neue Anforderungen reagierend begreift, sind
wir vielleicht sogar auf die eine oder andere Art frei, dies zu erkennen.
Unsere Netzwerke verlieren Raum
und Zeit als Konstanten. Sie sind wandelbar, anpassungsfähig und reagieren den
Anforderungen entsprechend. Das Gehirn wird als intelligentes System begriffen.
Der bewundernde Beobachter solcher Erkenntnisse, die das Zusammenspiel jenseits
aller Imperative organisiert beschreiben, verharrt still und liefe, wider
besseres Wissen, Gefahr, gläubig zu werden. Wer schöpfte mein Hirn als die
kunstvollste Form der Freiheit?
Noch halten mich, jenseits der
sphärischen Zusammenhänge, die entsetzliche Wirklichkeit und ihre unabsehbaren
Folgen im mühsam erlernten Nichts. Doch, was bleibt vom Kern meiner Person,
wenn sich alles umdeuten lässt?
Dass es keine gültigen Antworten
mehr gibt, verwirrt in Zeiten, in denen nur noch Tarngesetze uns am Menschen schöpfen
hindern, wenig. Die in den Elementarteilchen gefundene Vision der postsexuellen
Gesellschaft verliert im Angesicht pornografischer Internetfluten jeden
Schrecken. Ist sie etwas anderes als die technische Umsetzung eines mühsam
erreichten Karmazustandes?
Mit dem Verlust des kleinen Todes
gebe ich das ursprünglichste Ziel auf. Sein oder Nichtsein unterscheidet sich
nur noch funktional, nicht mehr inhaltlich. Die Hoffnung verliert ihren letzten
Sinn.
Das Ziel in begreifbarer Nähe weiß
ich noch immer nichts über die Freiheit. Zufrieden lehne ich mich zurück, wie
gut, es bleibt hoffnungslos. Was ist da noch Schönheit? Dass ich mir jenseits
aller Dogmen in unserem Seinssupermarkt die Freiheit nehmen kann, die mir
gefällt? Ein postsexueller Orgasmus?
jens tuengerthal, Berlin 2005
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